Suchttherapie 2003; 4 - 7
DOI: 10.1055/s-2003-822287

Praktischer Kurs – Akupunktur in der Suchtmedizin

R Raben 1
  • 1Hamburg

In Europa und USA wird Akupunktur zunehmend in die Behandlung Suchtkranker integriert.

Verschiedene Akupunkturverfahren wurden probiert: Körperakupunktur, Handakupunktur, Ohrakupunktur. Die verschiedensten Punktekombinationen wurden getestet. In der Drogenambulanz des staatlichen New Yorker Lincoln Hospital wurde schließlich eine feste Punktekombination entwickelt, die sich bisher am besten durchsetzen konnte. Sie wird mit einem besonderen, strukturierten Behandlungssetting kombiniert. Dadurch wird vor allem die Akzeptanz für die Therapie verbessert.

In Deutschland gibt es derzeit etwa 220 Einrichtungen, die mit diesem sog. „NADA Protokoll“ der Ohrakupunktur arbeiten, um alkoholkranke und drogenabhängige Patienten in den verschiedenen Stadien ihrer Sucht zu behandeln: zur Stabilisierung während des Konsums, um einen besseren Zugang zu schwierigsten Klienten zu bekommen, während des Entzugs, bei der Rehabilitation, zur Rückfallprophylaxe in Ambulanzen, in Kliniken, in Drogen- und Alkoholberatungsstellen, Gefängnissen und Tageskliniken.

1. Die Wirkungen

Die typischen Wirkungen der Akupunktur:

  • körperliche und seelische Stabilisierung

  • größeres Wohlbefinden

  • verbesserte Konzentration bei gleichzeitiger Entspannung

  • Schlafregulation

  • vermindertes Suchtverlangen

Insgesamt sind die Patienten nach Akupunktur stabiler, stärker, klarer im Kopf und halten mehr aus. Sie sind weniger ängstlich. Das wirkt sich positiv aus auf die Motivation zur Behandlung insgesamt. Akupunktur soll geschickt mit weiteren konventionellen suchtmedizinischen und psycho-soziotherapeutischen Elementen verknüpft werden. Erst dann erlangt sie ihre volle Effektivität. Die Erfahrungen akupunktierender Suchthilfeeinrichtungen gehen regelmäßig dahin, dass erst die Kombination mit Therapie zu einer dauerhaften Stabilisierung der Patienten führt.

Es muss betont werden, dass es bei „Akupunktur in der Suchtmedizin“ nicht darum geht, in der Praxis schnell mal ein paar Nadeln an die richtigen Stellen im Ohr zu bringen und fertig.

2. Das Behandlungssetting

Das Behandlungssetting, in dem die Akupunktur stattfindet ist von zentraler Bedeutung für die dauerhafte Akzeptanz der Behandlung, außerdem die Geschicklichkeit und die Haltung des Akupunkteurs:

  • Die Behandlung findet in einer möglichst großen offenen Gruppe statt.

  • Die Patienten sitzen.

  • Die Behandlungszeiten liegen fest (keine individuellen Terminvereinbarungen).

  • Die Atmosphäre bei der Akupunktur soll wenig verbal, non-konfrontativ sein.

  • Jeder Patient wird akzeptiert.

  • Die Behandlung sollte anfangs täglich, später seltener stattfinden.

3. Wissenschaftliche Untersuchungen

Die Ergebnisse zahlreicher wissenschaftlicher Studien, z.T. randomisiert, single-blinded, z.T mit großen Patientenzahlen zur Effektivität von Akupunktur in der Suchtbehandlung sind bis heute inkonsistent.

Es gibt Studien und Analysen, die einen deutlichen Effekt in Bezug auf die klinische Gesundung von Suchtpatienten zeigen (z.B.: [1-5, 7-9]) und es gibt andere Studien, die z.B. keinen signifikanten Unterschied in der Wirksamkeit von „Verum-Akupunktur“ gegen „Sham-Akupunktur“ zeigen [6].

Ein Problem besteht immer wieder im Studiendesign. Akupunkturtherapie verläuft anders als etwa Medikamenteneinnahme und ist daher kaum doppelt zu verblinden. Akupunktur hat immer einen starken Beziehungsaspekt: Wie verhält sich der Akupunkteur zum Patienten und umgekehrt. Ob der Patient morgen wiederkommt, hängt sehr stark von solchen Faktoren ab. In einer Studie, in der der Akupunkteur bewusst „Sham-Akupunktur“ durchführt, wird mehr am Behandlungssetting geändert als nur die Punktlokalisation.

Ich meine, dass eine sinnvolle Studie darin bestehen könnte, eine Suchthilfeeinrichtung, die das NADA-Protokoll in die Entzugs- und Reha-Behandlung neben anderen Therapieelementen integriert hat, über einen längeren Zeitraum in ihrem klinischen Outcome zu vergleichen mit einer vergleichbaren Einrichtung, die ohne Akupunktur arbeitet.

4. Die Ausbildung

zur Akupunktur in der Suchtbehandlung muss mehr leisten, als den Auszubildenden das richtige Stechen der richtigen Punkte beizubringen. Die Theorie der Chinesischen Medizin zur Wirksamkeit und die dahinterliegende Naturphilosophie des TAO sind sehr interessant. Ihre Kenntnis macht aber noch nicht den guten Akupunkteur in der Suchtmedizin aus. „Suchtakupunkteure“ müssen systematisch lernen, non-verbal ihren Patienten zu vermitteln, dass sie, so ängstlich, ambivalent und gestresst wie sie sind, respektiert werden.

Literatur

1Avants et al.: A randomized controlled trial of auricular acupuncture for cocaine dependence. Arch. Intern. Med. 2000; 160: 2305

2Berman, AH: Ear acupuncture as a complementary treatment for drug abuse; a controlled study of the NADA Acudetox method in prison. Stockholm: Swedish Prison and Probation Administration, 1999

3Bier et al.: Auricular acupuncture, education and smoking cessation: A randomized, sham-controlled Trial. American Journal of Public Health 2002; 92: 16422

4Buhk et al.: Ergebnisse einer Studie zur ambulanten Akupunkturbehandlung von alkohol- und medikamentenabhängigen Klienten in einer Beratungsstelle. Suchttherapie 2001; 2: 35

5Bullock et al.: Controlled trial of acupuncture for severe recidivist alcoholism. Lancet 1989; 1:1435

6Bullock et al.: A large randomized placebo controlled study of auricular acupuncture for alcohol dependence. J. Substance Abuse Treatment 2002; 22: 71

7Shwartz et al.: The value of acupuncture detoxification programs in a substance abuse treatment system. J. Substance Abuse Treatment 1999; 17: 305

8Smith MO: Acupuncture treatment for crack: clinical survey of 1.500 patients treated. Am. J. Acupuncture 1988; 16: 241

9Wen et al.: Treatment of drug addiction by acupuncture and electrical stimulation. Asian Journal of Medicine 1973; 9: 138