Zusammenfassung
Diese in drei Abschnitte und eine Schlussbemerkung gegliederte Arbeit beginnt mit
der Nachzeichnung des „Denkweges” von Janzarik, der seinen Ursprung in der Schließung
einer Kluft zwischen Jaspers' deskriptiver Phänomenologie und der anthropologischen
Phänomenologie mit ihren interpretativen Elementen zum Gegenstand hat. Janzariks strukturdynamischer
psychopathologischer Ansatz ist im Laufe seiner Ausdifferenzierung über die engeren
psychopathologischen Fragestellungen des Beginns zu einer Anthropologie herangewachsen,
die auf die Beschreibung der kreatürlichen Voraussetzungen der Entwicklung des Individuums
abzielt. Dabei steht die Erlebnisdimension im Mittelpunkt, ohne dass interdisziplinär,
etwa durch Beiziehung der Ethologie, objektive Befunde ausgeblendet blieben. Die Bescheidung
auf die mit allen heuristischen Gefahren verbundenen eigenen Mittel der klinischen
Rekonstruktion seelischer Vorgänge im Anderen wurde von Janzarik als „reine Psychopathologie”
bezeichnet.
Im Abschnitt über Struktur und Repräsentation und ihre Abhängigkeit von Affektdynamik
wird der prozessuale Charakter der Anthropologie von Janzarik im Hinblick auf Entwicklungsvorgänge
und seine Verwandtschaft zu dem Philosophen Plessner herausgestellt. Die Bedeutung
der Imagination im Werk Janzariks wird vor allem darin gesehen, dass sie im Gegensatz
zu ihrem Charakter der „ontologischen Schwäche, des Defizitären, des Nicht-Realen”
bei anderen Philosophen von Janzarik als Teilkonstituens der Realität - in Gleichklang
mit Kant - gesehen werde. Dies wird an der Charakterisierung des „psychischen Feldes”
im Sinne des strukturdynamischen Modells und an der Psychopathologie des Wahns sowie
des Oneiroids exemplifiziert.
Schließlich wird die Parallele zwischen Autopraxis, dem zentralen Begriff Janzariks
für die Spontaneität von Einfällen und Gedächtnisleistungen, der gewissermaßen Arbeitscharakter
der Imagination für den Fluss auch kontrollierter mentaler Abläufe betont. Die Arbeit
schließt mit einer Bemerkung, in der noch einmal die besondere Hervorhebung der Erlebnisdimension
und damit der Individualität des Patienten in Janzariks Werk hervorgehoben wird.
Abstract
This paper in three parts and conclusion begins with the description of Janzarik's
progression of thought, which originates in the narrowing of the gap between Jasper's
descriptive phenomenology and anthropological phenomenology with its interpretive
elements. Janzarik's structural-dynamic psychopathological approach has grown and
differentiated from originally relatively narrow psychopathological questions to become
an anthropology which aims to describe human assumptions concerning individual development/growth.
The experience dimension is the focus, without suppressing interdisciplinary, objective
findings, such as the inclusion of ethology. The mere clinical reconstruction of mental
processes with all its heuristic risk was characterised by Janzarik as ‘pure psychopathology’.
In the section concerning structure and representation and their dependence on affect
dynamic, we will emphasise the procedural nature of Janzarik's anthropology regarding
developmental processes and its relationship to the philosopher Plessner's work in
philosophy. The significance of the imagination in Janzarik's work contrasts to other
philosophers who regard the imagination as ontological weakness, a deficiency, non-real,
Janzarik, like Kant, sees the imagination as a constituent of reality. This will be
exemplified in the characterisation of the mental field concerning the structural-dynamic
model, the psychopathology of delusion as well as the oneiroid psychopathology.
Finally the connection between autopraxis, Janzarik's core concept for the spontaneity
of incidences and memory functions, and imagination will be described, which to a
certain extent emphasises the working character of imagination for the flow of controlled
mental activity. We will finish with the observation that Janzarik's work especially
stresses experience and thus also the patient's individuality.
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Prof. Dr. Michael Schmidt-Degenhard
Kaiserswerther Diakonie · Florence Nightingale Krankenhaus · Klinik für Psychiatrie
und Psychotherapie
Zeppenheimer Weg 7
40489 Düsseldorf-Kaiserswerth ·
Email: prof.schmidt-degenhard@kaiserswerther-diakonie.de