Psychother Psychosom Med Psychol 2004; 54 - P3535
DOI: 10.1055/s-2004-819768

Subjektive Krankheitstheorien von TinnituspatientInnen und ihre Verankerung in der biographischen Identität

E Ackermann 1, S Giensch 1, M Schmitz 1, K Wallstab 1, T Konzag 2, D Rübler 2, J Frommer 1
  • 1Uniklinikum Magdeburg, Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
  • 2Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Halle

Fragestellung: Die Studie ist Teilprojekt einer an 200 Tinnituspatienten durchgeführten Untersuchung zum Einfluss psychosozialer Belastungen und psychischer Komorbidität auf die Chronifizierung von Tinnituserkrankungen und zur Effektivität psychotherapeutischer Interventionen. Sie widmet sich der Erforschung von Sinnkonstituierungsprozessen und deren Bedeutung für den Umgang mit der Krankheit. Methodik: In einer ersten Erhebungswelle wurden 34 Leitfadeninterviews und 8 biographisch-narrative Interviews mit chronischen und subakuten Tinnitus-Patienten durchgeführt. Während die Leitfadeninterviews nach den Prinzipien der qualitativen Inhaltsanalyse und der komparativen Kasuistik ausgewertet werden, orientiert sich die Interpretation der biographisch-narrativen Interviews an dem Verfahren der sequenziellen Textanalyse. Ergebnisse: Tinnituspatienten reagieren auf die anfänglichen Symptome häufig mit Bagatellisierung bzw. Negierung. Entsprechend schieben viele von ihnen den ersten Arztbesuch hinaus. Wenn es schließlich zu einem Expertenkontakt kommt, werden die Patienten oft bereits im Zuge der Diagnosestellung mit der Unbehandelbarkeit bzw. der Unheilbarkeit ihrer Erkrankung konfrontiert. Dies prägt die subjektiven Vorstellungen, die sie sich von ihrer Krankheit machen, enorm. In dem von uns erhobenen Material zeigen sich verschiedene Wege der Diagnose- und Prognoseverarbeitung, die wiederum mit Unterschieden in Bezug auf die Ursachenzuschreibung und auf die Gestaltung der Arzt-Patient-Beziehung sowie mit verschiedenen Modi des Krankheitsbewältigungshandelns korrespondieren. Dies kann exemplarisch an kontrastierenden Fällen verdeutlicht werden, wobei auch beleuchtet wird, wie biographische Erfahrungen die Sicht auf die Krankheit und den Umgang mit dem Medizinsystem beeinflussen. Diskussion: Unsere Erkenntnisse hinsichtlich der Theoriebildungsprozesse von Tinnituspatienten können zur Verbesserung der Experten-Laien-Kommunikation beitragen.