Psychother Psychosom Med Psychol 2004; 54 - P3613
DOI: 10.1055/s-2004-819813

Prädiktion des Krankheitserlebens bei Tinnitus über ein Jahr – Ergebnisse der Hannover-Tinnitus-Verlaufsstudie

B Jäger 1, P Malewski 1, T Koch 2, F Lamprecht 1
  • 1Abt. Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover
  • 2HNO-Gemeinschaftspraxis Drs. Koch/Ruh, Hannover

Ziel der Untersuchung ist die Prädiktion der gelingenden vs. misslingenden Krankheitsbewältigung vor dem Hintergrund eines ressourcenorientierten Diathese-Stress-Modells des Tinnitus. Methode: Es 217 Patienten innerhalb der ersten vier Wochen nach Beginn einer Tinnituserkrankung untersucht, für 145 Patienten liegt die Dreimonatskatamnese vor, für 85 Patienten die 1-Jahres-Katamnese. Die Patienten waren im Mittel 46 Jahre (sd=17.3, Range: 15–103 Jahre) alt, 54% der Patienten waren weiblich. Als Kriteriumsvariable wurde ein Index aus den wichtigsten Folgesymptomen des Tinnitus gebildet und an einem externen Kriterium (Korrelation mit .69 und .59 mit zwei Tinnitusfragebögen) geprüft. Ergebnisse: Zum ersten Messzeitunkt antworteten auf die Frage, ob sie mit dem Tinnitus „zur Not“ leben können 7,7% mit „nein“ und 19,9% mit „eher nein", nach drei Monaten zwei Patienten (1,5%) weiterhin mit „nein“ und nur 8,5% mit „eher nein“, nach 1 Jahr hatte sich die Toleranz wiederum gebessert und nur 8,5% der Patienten antworteten mit „eher nein“. Zur Überprüfung der Rahmenhypothese wurden getrennte und gemeinsame Regressionsmodelle der postulierten Prädiktorvariablen gerechnet: Nach unserer a priori festgelegten Definition der Dekompensation sind zum Messzeitpunkt I 21%, nach drei Monaten 18% und nach einem Jahr 14,3% der Personen dekompensiert. In unserem Grundmodell (P<=0,001, adj. R2=0,24) prädizierte die zum Messzeitpunkt I empfundene Tinnituslautstärke (p≤0,03), die Ressourcen (p=0,02) sowie–im Sinne eines Trends–andere vegetative Beschwerden (VBS, p=0,06) die Dekomensation nach einem Jahr. Andere Variablen wie die Depression (p=0,12), Stress (TICS, p=51) oder die Ineffectiveness-Skala des EDI zeigten keinen Einfluss (p=0,11). Auch fanden sich im Rahmen eines Persönlichkeitsmodells (p=28, adr.R2=0,06) sowie eines Stressmodells (p=19, adr.R2=0,10) keine hinreichende Vorhersage der Dekompensation. Diskussion: Unsere Ergebnisse bestätigen eingeschränkt das postulierte, ressourcenorientierte Diathese-Stress-Modell des Tinnitus. Sowohl „konkurrierende“ Belastungen als auch weiterbestehende Ressourcen erlauben eine hinreichende Prädiktion des Tinnitus.