Psychother Psychosom Med Psychol 2004; 54 - P3602
DOI: 10.1055/s-2004-819874

Diagnostische Interviews in der Akutbehandlung von Patienten nach Myokardinfarkt in den neuen Bundesländern. – Eine qualitative Untersuchung zu subjektiven Krankheitstheorien unter dem Einfluss von Veränderungen in Familie, Arbeitsplatz und Gesellschaft

H Staats 1, C Bosold 1, K Werdan 2
  • 1Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Universität Göttingen
  • 2Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III, MLU Halle-Wittenberg

Auf dem Hintergrund einer Zunahme der Diagnose akutes Koronarsyndrom in der Region Halle war es Ziel der Untersuchung, zur Beschreibung eines psychosozialen Risikoprofils beizutragen (1). Subjektive Krankheitstheorien und das Erleben der Veränderungen am Arbeitsplatz, in der Familie und im gesellschaftlichen Umfeld konnten an einer Teilstichprobe einer größeren Studie untersucht werden. 10 Patienten nach Myokardinfarkt wurden in den ersten Tagen ihrer Akutbehandlung mit halbstandardisierten Interviews von 30 bis 50 Minuten Dauer von einem ihrer behandelnden Ärzte befragt. Externe Beurteiler schätzten anhand von Audioaufnahmen der Gespräche die Entwicklung der Qualität der interpersonellen Beziehungen (GAF, GARF) und des sozialen und beruflichen Funktionsniveaus (SOFAS) ein. Inhalts- und Metaphernanalysen wurden eingesetzt zu einer Beschreibung der Krankheitstheorien der Patienten und zur Identifikation subjektiver salutogenetischer und pathogenetischer Faktoren. Die untersuchten Patienten nahmen das Angebot eines ausführlicheren diagnostischen Interviews begierig an. Sie nutzten die Gelegenheit, sich in einer Situation der Verunsicherung durch die Erkrankung ihrer Lebensgeschichte und ihrer Erfahrungen bei der Bewältigung von Belastungen zu vergewissern. Gemeinsame Themen waren die Verschlechterung interpersoneller Bindungen angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen bei der Vereinigung von DDR und BRD, ein Erleben von Ohnmacht und ein bedrohtes Identitätsgefühl. Die Anwendung der Auswertungsinstrumente des DSM IV erwies sich als unbefriedigend, da implizite Wertannahmen dieser Beurteilungsinstrumente der Lebenssituation in den neuen Bundesländern nicht gerecht wurden. Diese ersten Ergebnisse regen dazu an, Patienten nach akutem Koronarsyndrom schon in der Akutphase ihrer Erkrankung eine Möglichkeit zu bieten, sich ihrer individuellen Ressourcen bei der Krankheitsbewältigung und ihrer Identität in einem biografisch ausgerichteten Interview zu vergewissern.