Psychother Psychosom Med Psychol 2004; 54 - P3614
DOI: 10.1055/s-2004-819875

Nahrungsaufnahme, Stimmung und Blutzuckerverlauf bei Bulimie über 72 Stunden – Ergebnisse der Hannover-Bulimie-Ernährungsregulationsstudie

M Stephan 1, E Jaeckel 2, S Zeigermann 1, G Schmid-Ott 1, F Lamprecht 1, G Brabant 2, B Jäger 1
  • 1Abt. Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover
  • 2Abteilung Endokrinologie, Med. Hochschule Hannover

Hintergrund der Untersuchung ist die sehr unregelmäßige Nahrungsaufnahme bei Bulimia nervosa, die via Unterzuckerung in emotionalen Krisen zur Aufrechterhaltung der Störung beiträgt. Ziel der Untersuchung ist die Bereitstellung sicherer Informationen über den Verlauf der Nahrungsaufnahme und von Essanfällen über den Tag sowie deren Zusammenhang zu Stimmung und Essdruck. Methode: Bei insgesamt 6 Patientinnen mit Bulimia nervosa wurde über 72 Stunden der Blutzuckerverlauf kontinuierlich erfasst (MiniMed Glucose-Sensor, Fa. MedTronic, Düsseldorf). Gleichzeitig wurde die Nahrungsaufnahme und der Verlauf von Stimmung und Essdruck mittels eines hierfür konstruierten Protokoll-Tagebuchs erhoben. Zur Auswertung wurde ein Cross-Lag-Panel-Design angewendet. Ergebnisse: Die Ergebnisse von 5 Patientinnen konnten sinnvoll ausgewertet werden, 4 der 5 Patientinnen zeigten über den Tagesverlauf, insbesondere nachts und morgens, ein z.T. über Stunden währendes Absinken des Blutzuckerspiegels unter 50mg/dl. Im Rahmen von Essanfällen zeigten sich scharfe, bis zu 200mg/dl reichende Peaks; Glucosewerte oberhalb 150mg/dl hielten z.T. über Stunden an. Die Essanfälle korrespondieren sehr deutlich mit Stimmungstiefs. Cross-lag-Korrelations-Analysen weisen zunächst auf ein reziprokes Verhältnis zwischen Stimmung und Essanfällen hin, möglicherweise ist hier aber auch das gewählte zeitliche Raster (1h) zu grob. Diskussion: Unsere Ergebnisse zeigen erstmals verlässlich die Folgen restriktiven Essens auf den Blutzuckerspiegel als mögliche aufrechterhaltende und therapieerschwerende Bedingung bei Bulimia nervosa. Das Schwanken zwischen hypo- und hyperglykämischen Zuständen ist wahrscheinlich auf ein zumindest teilweise insuffizientes Insulin-Glucagon-System bei diesen akut erkrankten Patientinnen zurückzuführen. Ein deutlicher Zusammenhang vom Auftreten von Essanfällen zu Stimmung und zum Essdruck besteht, dieser zeigt interindividuell aber sehr unterschiedliche Muster. Die Bedeutung der HPA-Achse bzw. der Katecholamin-Ausschüttung unter dem Stress des Ess-Brech-Zirkels für die schnell ablaufenden Blutzuckerschwankungen ist zu diskutieren.