Psychother Psychosom Med Psychol 2004; 54 - P3539
DOI: 10.1055/s-2004-819888

Affektives Priming bei adipösen Patienten – Die Rolle automatischer Bewertungsprozesse bei Übergewicht

I Wegener 1, A Wawrzyniak 1, K Imbierowicz 1, R Conrad 1, J Musch 2, F Geiser 1, F Wermter 1, R Liedtke 1
  • 1Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Bonn
  • 2Fachbereich Psychologie, Universität Mannheim

Affektive Bewertungsprozesse spielen eine wichtige Rolle für das Essverhalten. So ist z.B. davon auszugehen, dass viele Menschen auch deswegen nicht übermäßig an Gewicht zunehmen, weil eine Gewichtszunahme mit stark negativen Affekten verbunden ist. Sind diese negativen Affekte weniger ausgeprägt, ist die Motivation, einer Gewichtszunahme entgegenzusteuern, vermindert. Sind also Adipöse u.a. deshalb übergewichtig, weil sie negative Ereignisse im Allgemeinen und eine Gewichtszunahme im Besonderen weniger aversiv erleben?

Zur Erfassung vorbewusster, automatischer Bewertungsprozesse wurden 30 adipöse Patienten und 25 normalgewichtige Kontrollpersonen mittels affektiven Primings untersucht. Beim affektiven Priming wird die Verarbeitung von Wortpaaren konsistenter Valenz (z.B. giftig-habgierig) mit Wortpaaren inkonsistenter Valenz (z.B. giftig-heiter) verglichen. Die Versuchsteilnehmer sollen nach der Darbietung des ersten Wortes angeben, ob das zweite Wort von positiver oder negativer Valenz war. Ein Priming-Effekt liegt vor, wenn die Häufigkeit der Zuordungsfehler bei konsistenten Wortpaaren niedriger als bei inkonsistenten Wortpaaren ist. Wenn adipöse Patienten wie vorhergesagt die Wörter mit vergleichsweise gering ausgeprägten Affekten verbinden, ist ein verminderter Priming-Effekt zu erwarten, d.h. der Unterschied bei der Verarbeitung von konsistenten und inkonsistenten Wortpaaren ist reduziert.

Entsprechend der Hypothese wurde bei adipösen Patienten ein geringerer Priming-Effekt beobachtet als bei normalgewichtigen Kontrollpersonen. Dieses Ergebnis spricht dafür, dass Adipöse negative Ereignisse weniger aversiv erleben und dementsprechend weniger negative Konsequenzen bei einer Gewichtszunahme erfahren. Die Bedeutung affektiver Bewertungsprozesse für die Psychotherapie von adipösen Patienten wird diskutiert.