Psychother Psychosom Med Psychol 2004; 54 - AB40
DOI: 10.1055/s-2004-822502

Seiltanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit–Lebensentwürfe von Frauen in der heutigen Arbeitswelt

U Hauffe 1
  • 1Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau

1. Derzeit ist das Thema der Kinderlosigkeit in aller Munde. Die Politik nimmt mit 40-jähriger Verspätung erstaunt zur Kenntnis, dass Frauen in Deutschland in einen Gebärstreik getreten sind: über 30% der heute 35-jährigen Frauen bleiben kinderlos, von den Akademikerinnen über 40%. Was die Politik aber nur langsam realisiert, sind die gesellschaftlichen Hintergründe dafür. 2. Die Lebensentwürfe von Frauen haben sich in den letzten 50 Jahren entscheidend verändert: so gut ausgebildet wie keine Generation vor ihnen und mit gesetzlichen Bedingungen zur Gleichberechtigung in Bildung, Wirtschaft, Politik ausgestattet, wollen sie auf breiter Ebene die Gleichstellung realisieren. Sie sind nicht mehr bereit zu akzeptieren, dass Beruf und Familie einen Gegensatz darstellen, der individuell auf ihrem Rücken ausgetragen wird. 3. Mit „ein paar Euro“ mehr Kindergeld oder Steuerentlastung werden Frauen sich auch in Zukunft nicht für ein Leben mit Kindern entscheiden, wenn nicht die gesellschaftlichen Bedingungen dafür strukturell verändert werden. Elemente einer solchen Veränderung müssen sein:

  • Umfassende Möglichkeiten flexibler, individuell gestaltbarer, bezahlbarer Kinderbetreuung

  • Eine Wirtschaftspolitik, die familienfreundliche und frauenfördernde Unternehmen belohnt, die Konzepte für Mütter und Väter entwickeln

  • Eine Bildungspolitik, die Mädchen und Jungen zu neuen Rollenmustern erzieht, die bei Mädchen zukunftsorientierte Berufswahl und bei Jungen Familienfreundlichkeit unterstützt

  • Eine Sozialpolitik, die Ehrenamt, Gemeinwesen- und Familienarbeit als integriertes Lebensmodell begreift, in dem bezahlte und unbezahlte Arbeit in gegenseitiger Anerkennung ihrer Wichtigkeit ineinander greifen

In jedem dieser Politikfelder sind Entwicklungsschritte dahin benennbar, die ich in meinem Vortrag skizzieren werde.

Eine solche Politik führt dazu, dass bezahlte Arbeit besser verteilt und unbezahlte Arbeit gesellschaftlich anerkannt wird. Nur dann können Frauen und Männer in Zukunft zu Müttern und Vätern werden, die gesellschaftliche Verantwortung mit individuell befriedigenden Lebensentwürfen verbinden können.