Psychother Psychosom Med Psychol 2004; 54 - AB94
DOI: 10.1055/s-2004-822556

Die Auswirkungen psychosomatischer Gesprächsführung auf Diagnostik und Therapie in den Alltagsrouten einer Allgemeinpraxis

T Reimer 1
  • 1Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Universität Köln

Ziel: Die Verwirklichung psychosomatischer Verstehensweisen gilt zwar allgemein als wünschenswert, wird aber unter den gegebenen kassenärztlichen und politischen Voraussetzungen in der Regel als wenig realisierbar erachtet. Die konsequente Umsetzung psychosomatischer Gesprächsführung in den Alltag einer Allgemeinpraxis führt aber zu einer spürbaren Veränderung sowohl diagnostischer als auch therapeutischer Verhaltensweisen des Arztes. Die Folgen sind: Verbesserung der Arzt-Patienten-Beziehung; rationaler Umgang mit Medizintechnik, Kostensenkung im Gesundheitssystems z.B. durch Reduzierung iatrogener Chronifizierungen sowie Verbesserung der ärztlichen Motivation. Methode: Aus dem Alltag eine psychosomatischen Allgemein-Praxis werden mithilfe der Videokonferenz-Technologie Arzt-Patienten-Gespräche aufgezeichnet. Es werden Einzelgespräche im Original, und Verläufe im Schnitt gezeigt. Aus dem über Jahre aufgebauten Archiv werden folgende Beispiele ausgewählt:

1. Das retrosternale Schmerzsyndrom eines älteren Mannes: im Einzelgespräch, im Paargespräch, beim Hausbesuch und im Gespräch mit der Tochter.

2. eine 36jährige Mutter mit einem infausten, metastasierten Mamma-Ca.

3. ein 6-jähriges leukosekrankes Kind, das den Arzt alleine, ohne Begleitung der Eltern sprechen will.

Ergebnis: Auch unter den zeitlichen Rahmenbedingungen einer Allgemeinpraxis ist die Verwirklichung psychosomatischer Verstehensweisen nicht nur möglich, sondern sie bildet eine notwendige Bedingung, um den Beschwerdeschilderungen von Patienten gerecht zu werden. Voraussetzung ist die Bereitschaft des Arztes, tradierte Gesprächstechniken aufzugeben, sich in die subjektive Welt des Patienten in Form eines aktiven Zuhörens einzulassen und die Grenzen der somatischen Krankheitskonzepte mit praxisbewährten Therapiemodellen zu erweitern.

Diskussion: Das Bild von Ärzten über die Möglichkeiten und Grenzen der Psychosomatik wird nicht selten von Vorurteilen und Unsicherheiten mitbestimmt. Dies könnte ein Grund sein, warum immer mehr Ärzte glauben, den Anforderungen des Praxisalltags nur noch gerecht werden zu können, wenn sie auch alternative Außenseitermethoden in ihrer Praxis zulassen, so dass die notwendige Weiterentwicklung der somatischen Schulmedizin zur psychosomatischen Schulmedizin zu kurz kommt.