Bei den in Deutschland häufigsten spinocerebellärer Ataxien, der SCA1, SCA2 und SCA3,
liegt in aller Regel eine olivopontocerebellären Atrophie vor. Letztere wird auch
bei der sporadisch auftretenden Multisystematrophie vom cerebellären Typ (MSA-C) beobachtet.
Anatomische Strukturen, die die Generierung von Augenbewegungen beeinflussen, sind
sowohl bei SCA als auch bei MSA-C in besonderem Maß betroffen. Ziel des Projektes
war es, die Störungen vestibulärer Funktionen bei MSA-C und SCA1, SCA2 und SCA3 vergleichend
zu untersuchen. 19 SCA-Patienten (SCA1: N=7, SCA2: N=8, SCA3: N=4), 8 MSA-C-Patienten
und 13 gesunde Kontrollpersonen wurden mittels der Search-Coil-Technik im Vestibulären
Stimulationsgerät untersucht. Getestet wurden folgende Paradigmen:
(a) 3-dimensionale Antwort auf sinusförmige Rotation um eine vertikale Achse im Dunkeln
mit 0,2Hz/15° (A), 0,1Hz/30° (B) und 0,1Hz/60° (C), sowie um eine horizontale Achse
mit 0,2Hz/15° (D) und 0,1Hz/30° (E). (b) Konstante Rotation mit 100°/s für die Dauer
von 60s in Dunkelheit. Die positive sowie negative Beschleunigung lag bei 400°/s2.
Die Drehung erfolgte um die Erdvertikale. Der Gain war definiert als Quotient aus
Augengeschwindigkeit durch Kopfgeschwindigkeit.
Die Antwort auf sinusförmige Drehung war bei SCA1 und SCA3 reduziert, bei MSA-C im
Vergleich zu Gesunden jedoch signifikant gesteigert. Auch für die konstante Rotation
ergaben sich reduzierte Gains für SCA1 und 3, während SCA2 und MSA-C keine signifikanten
Auffälligkeiten zeigten.
Die diskrepanten Untersuchungsbefunde des vestibulären Systems weisen auf Unterschiede
im Degenerationsmuster bei SCA und MSA-C hin. Pathophysiologisch geht der gesteigerte
VOR bei MSA-C wahrscheinlich auf den Verlust der inhibitorischen Wirkung des Flocculus
zurück. Dieser ist auch bei SCA betroffen, so dass die Reduktion des VOR bei SCA auf
eine zusätzliche Degeneration des VIII-Kerngebietes oder auch der vestibulären Afferenz
hindeutet. Vergleichende pathologisch-anatomische Untersuchungen sollen diese Frage
weiter klären.