Gesundheitswesen 2004; 66 - 28
DOI: 10.1055/s-2004-833766

Leichte kognitive Störungen – Hochrisikogruppe für die Entwicklung von Demenzen: Ergebnisse der Leipziger Langzeitstudie in der Altenbevölkerung (LEILA75+) zur Epidemiologie leichter kognitiver Störungen

A Busse 1, SG Riedel-Heller 1, H Matschinger 1, MC Angermeyer 1
  • 1Klinik und Poliklinik für Psychiatrie der Universität Leipzig

Ziel: Die Kenntnis um eine lange präklinische Phase der Alzheimer–Erkrankung stimulierte Forschungsbemühungen zur Identifikation früher diagnostischer Marker demenzieller Erkrankungen. Um potentielle Behandlungsoptionen zur Verzögerung und idealerweise zur Prävention weiterer kognitiver Beeinträchtigung auszuschöpfen, ist die Definition von Hochrisikogruppen unerlässlich. Menschen mit leichten kognitiven Störungen haben ein erhöhtes Risiko an einer Demenz zu erkranken. Verschiedene Konzepte zur Definition leichter kognitiver Störungen werden propagiert. Diese wurden jedoch kaum in Feldstudien untersucht. Die vorliegende Arbeit vergleicht Prävalenz, Inzidenz und prognostische Validität leichter kognitiver Störungen auf der Grundlage verschiedener Konzepte. Methode: Eine bevölkerungsrepräsentative Stichprobe von 1045 demenzfreien über 75-jährigen Personen wurde im Rahmen einer Längsschnittstudie mit drei Erhebungswellen hinsichtlich leichter kognitiver Störungen neuropsychologisch untersucht. Hauptinstrument zur Erfassung kognitiver Störungen war dabei das SIDAM (Strukturiertes Interview zur Diagnose einer Demenz vom Alzheimer-Typ, einer Multiinfarkt-Demenz und Demenzen anderer Ätiologie, Zaudig et al. 1991). Verglichen wurden folgende Konzepte: „Mild Cognitive Impairment“ MCI (Petersen et al. 1999), „Age-associated Cognitive Decline“ AACD (Levy et al.1994) und eine Modifikation dieser Konzepte (MCI-modifiziert und AACD-modifiziert) welche alle Originalkriterien außer der Angabe subjektiver Gedächtnisstörungen fordert. Ergebnisse: Die Prävalenzraten variieren von 3% für MCI bis 20% für AACD-modifiziert. Eine ebenfalls erhebliche Variationsbreite ergibt sich für die Inzidenzraten. Die Spannweite reicht von 8 pro 1000 Personenjahre für MCI bis 77 pro 1000 Personenjahre für AACD-modifiziert. Mindestens ein Drittel der Fälle entwickelte innerhalb von 2,6 Jahren eine Demenz. Die beste prognostische Validität (Analyse der ROC-Kurven) zeigte dabei das modifizierte AACD-Konzept mit einer Sensitivität von 61,8% und einer Spezifität von 87,4% (AUC=0.746, p=0.000). Schlussfolgerungen: Die Häufigkeit leichter kognitiver Störungen hängt sehr vom zugrunde liegenden diagnostischen Konzept ab. Das AACD-Konzept erscheint als eines der gegenwärtig am besten operationalisierten Konstrukte mit vergleichsweiser guter prognostischer Validität. Subjektive Gedächtnisstörungen haben sich in Feldstudien als prognostisch wenig wertvoll erwiesen. Diese Erkenntnisse sollten sich in psychiatrischen Klassifikationssystemen widerspiegeln.