Gesundheitswesen 2004; 66 - 81
DOI: 10.1055/s-2004-833819

Gesundheitsbezogene Leistungen im Vorfeld der erstmaligen Abklärung einer Depression

H Dörning 1, T Grobe 1
  • 1ISEG – Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung, Hannover

Hintergrund: Psychische Erkrankungen wie „Depressionen“ zählen mittlerweile zu den bedeutsamsten Krankheitsbildern in den Industrienationen. Zugleich wird davon ausgegangen, dass Depressionen häufig erst sehr spät diagnostiziert werden und einschlägige Patienten im Vorfeld der Abklärung der Erkrankung in hohem Maße anderweitige gesundheitliche Versorgungsleistungen in Anspruch nehmen. Ziel: Ein Ziel des Forschungsvorhabens war es, die häufig postulierte überproportionale Inanspruchnahme gesundheitlicher Leistungen im Vorfeld der Abklärung einer Depression empirisch zu belegen und zu quantifizieren. Methoden: Auf der Basis von anonymisierten Routinedaten der Gmünder Ersatzkasse wurden Versicherten mit einer erstmaligen einschlägigen Diagnose im Indexjahr 2000 (Fälle: n=10.767) jeweils 20 geschlechts- und altersentsprechende Kontrollen (Versicherte ohne einschlägige Diagnose im Jahr 2000 sowie den Vorjahren; n=215.340) zugeordnet und die in den vorausgegangenen max. vier Jahren angefallenen gesundheitlichen Leistungen in beiden Gruppen ermittelt und miteinander verglichen. Ergebnisse: Die Fallgruppe nimmt im Vorfeld der Diagnosestellung im Vergleich zur Kontrollgruppe in deutlich stärkerem Maße gesundheitliche Leistungen in allen analysierten Leistungsbereichen (Arbeitsunfähigkeiten, Krankengeld, Krankenhausleistungen, Arzneiverordnungen) in Anspruch, die weit überwiegend in Zusammenhang mit somatischen Diagnosen stehen. Während z.B. Fälle in den letzten vier Jahren vor der Erstdiagnose durchschnittlich insgesamt 132 AU- und 15,4 Krankenhaustage aufweisen, sind es bei den Kontrollen lediglich 59 bzw. 5,6 Tage. Bereits in einem zeitlichen Abstand von vier Jahren vor der Diagnosestellung bestehen dabei deutliche Differenzen in der Inanspruchnahme zwischen Fällen und Kontrollen.

Diskussion/Schlussfolgerungen: Die überproportionale Leistungsinanspruchnahme im Vorfeld der (zu späten) Abklärung von Depressionen resultiert vermutlich zumindest teilweise aus den bei dieser Patientengruppe gehäuft auftretenden organisch nicht begründbaren körperlichen Beschwerden.