Gesundheitswesen 2004; 66 - 88
DOI: 10.1055/s-2004-833826

Vorstellungen von schizophren Erkrankten über Lebensqualität und ihre Zusammenhänge mit der Chronizität der Erkrankung

T Meyer 1, M Franz 1
  • 1Institut für Sozialmedizin, Lübeck; Arbeitsgruppe Sozialpsychiatrie, Universitätsklinikum Gießen

Hintergrund: Subjektive Lebensqualität schizophren Erkrankter ist zwar ein weit verbreiteter Indikator in der Outcome-Forschung, allerdings ist unklar, inwieweit der Gegenstandsbereich aus Sicht der Betroffenen hinreichend abgebildet wird und im Verlauf der Chronifizierung der Erkrankung deutliche Repriorisierungen des Konzepts zu berücksichtigen sind. Ziel: Identifikation spezifischer Vorstellungen zur Lebensqualität (LQ) von schizophrenen Menschen und eine Analyse möglicher Veränderungen dieser Vorstellungen mit zunehmender Chronifizierung. Methoden: Die vorliegende Untersuchung stellt eine Sekundäranalyse von Antworten im Rahmen eines kurzen, strukturierten, offenen Interviews aus sozialpsychiatrischen Studien dar. 403 schizophren Erkrankte verschiedener Versorgungssettings (psychiatrisches Krankenhaus, gemeindepsychiatrische Institutionen) sowie 178 psychisch Gesunde wurden zu positiven und negativen Aspekten ihrer LQ befragt. Eine zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse ergab eine umfassende Hierarchie von Kategorien (Interrater-Übereinstimmung von drei unabhängigen Kodierern 78%). Verglichen wurde der jeweilige Anteil von Personen, die einen bestimmten LQ-Aspekt genannt haben. Der Zusammenhang zwischen Chronizität und LQ-Vorstellungen wurde mittels Chi-Quadrat Test für Trends analysiert. Ergebnisse: Schizophren Erkrankte nannten im Mittel etwa einen LQ-Bereich weniger als die psychisch Gesunden (8,3 (sd=2,8) vs. 9,6 (sd=2,0), p<.001). Kein signifikanter Zusammenhang fand sich zwischen der Anzahl genannter Lebensbereiche und dem Ausmaß der Chronizität. Schizophren Erkrankten wiesen vergleichsweise weniger Aussagen im Bereich Arbeit sowie in sozialen Bereichen (Familie, soziale Kontakte, Partnerschaft) auf. Der Anteil an Nennungen in sozialen Bereichen war negativ mit dem Ausmaß an Chronizität assoziiert. Unter den schizophren Erkrankten fand sich u.a. ein bedeutsam höherer Anteil an Nennungen oraler Bedürfnisse (Essen, Trinken, Rauchen) und von (Problemen mit) Alltagsaktivitäten; beide Bereich waren negativ mit dem Ausmaß an Chronizität assoziiert. Keine Unterschiede zu psychisch Gesunden fanden sich in Bezug auf Stigma und Aggressivität als Bereiche negativer LQ-Erfahrung. Diskussion: Es ist unangemessen, von grundsätzlich unterschiedlichen Vorstellungen über LQ von schizophren Erkrankten gegenüber psychisch Gesunden auszugehen. Allerdings akzentuieren sich offensichtlich vorhandene Unterschiede im Verlauf der Erkrankung, so dass sich die Frage stellt, ab welchem Punkt von einer Repriorisierung oder sogar Rekonzeptualisierung des Konstrukts ausgegangen werden muss. Schlussfolgerungen: Die LQ-Erfassung in der Schizophrenie sollte insbesondere bei zunehmender Chronizität spezifische LQ-Vorstellungen der schizophren Erkrankten berücksichtigen.