Gesundheitswesen 2004; 66 - 99
DOI: 10.1055/s-2004-833837

Wie sind ambulante Adipositas-Programme für Kinder und Jugendliche zu bewerten?

D Hutzler 1, T Böhler 2, C Alex 3, R Becker 4, S Hoffmann 5, C Jung 1, F Laufersweiler-Lochmann 6, C Radu 7
  • 1MDS e.V. Essen
  • 2MDK Baden-Württemberg
  • 3MDK in Bayern
  • 4MDK in Hessen
  • 5MDK im Saarland
  • 6MDK Rheinland-Pfalz
  • 7MDK Niedersachsen

Hintergrund: In Deutschland sind 9–12% Prozent aller Kinder zwischen 5 und 7 Jahren bei der Schuleingangsuntersuchung übergewichtig, bei 2,5–3,5% liegt Adipositas vor. Derzeit etablieren sich zahlreiche Gewichtsreduktionsprogramme für übergewichtige/adipöse Kinder und Jugendliche. Die Gemeinschaft der Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDK) hat im Auftrag der Spitzenverbände der Krankenkassen eine Grundsatzstellungnahme erarbeitet. Ziel: Behandlungsversuche gelten als gerechtfertigt, wenn neben erhöhtem Body Mass Index (BMI) eine Krankheit vorliegt, zu deren erfolgreicher Behandlung eine Gewichtsreduktion beitragen könnte. Kind und Familie müssen motiviert sein, ihre Lebensgewohnheiten zu ändern. An Gewichtsreduktionsprogrammen sollten vor allem Kinder/Jugendliche mit extremer Adipositas teilnehmen, oder bei denen neben Adipositas oder Übergewicht zusätzliche, damit zusammenhängende Risikofaktoren und Krankheiten vorliegen. Methoden: Die MDK-Gemeinschaft hat solche Gewichtsreduktionsprogramme beurteilt und Qualitäts- und Bewertungskriterien erarbeitet. Zur Bewertung der Evidenz wurden Daten aus der (inter)nationalen Literatur sowie Leitlinien und Expertenempfehlungen berücksichtigt. Ergebnisse: Erfolg versprechende Schulungsprogramme sollten die Module Ernährung, Bewegung, verhaltenstherapeutische Beeinflussung von Ess-, Bewegungsverhalten und Lebensgewohnheiten, sowie Einbindung der Eltern kombinieren. Mit derartigen Behandlungsprogrammen kann ggf. zumindest vorübergehend eine Reduktion bzw. Stabilisierung des BMI erreicht werden. Nicht gesichert ist jedoch, dass die Wirkung länger als ein bis zwei Jahre anhält. Da derzeit fast nur Studien mit geringer interner Validität und zumeist minderer Qualität verfügbar sind, können keine verbindlichen Empfehlungen zur Ausgestaltung von Schulungsprogrammen für übergewichtige und adipöse Kinder und Jugendliche gegeben werden. Diskussion: Leistungsrechtlicher Rahmen von ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V. Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Aspekte: dauerhafte Gewichtsnormalisierung bei adipösen/übergewichtigen Kindern/Jugendlichen nur möglich durch Initiativen für gesundheitsförderliches Ess-, Bewegungs- und Freizeitverhalten auf verschiedenen Ebenen (Eltern, Schulen, Gemeinden, Medien, Politik). Schlussfolgerungen: Forschungsbedarf besteht für die Bereiche Grundlagenforschung, klinische Effekte und Fragen der Versorgung. Eine Studie zur kontrollierten Wirksamkeitsprüfung der Programme ist erforderlich.