Gesundheitswesen 2004; 66 - 177
DOI: 10.1055/s-2004-833915

„Soziale Gerechtigkeit“ und Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD)

H Brand 1
  • 1Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst NRW (lögd), Bielefeld

Hintergrund: Die aktuelle Diskussion um die „soziale Gerechtigkeit“ im Sozial- und Gesundheitswesen und die neueste Gesetzgebung macht eine Standortbestimmung des ÖGD in diesem Bereich notwendig. Ziel: Darstellung der verschiedenen Dimensionen der sozialen Gerechtigkeit in Bezug auf die Aufgaben des ÖGD. Methoden: Literaturanalyse und inhaltliche Analyse der aktuellen Diskussion um den Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ im Sozial- und Gesundheitswesen und Vergleich mit den gesetzlichen Aufgaben und der Aufgabenwahrnehmung des ÖGD. Ergebnisse: Der ÖGD sieht sich traditionell als eine Institution mit starkem Bezug zur sozialen Gerechtigkeit. Oft zitierte Begriffe wie „anwaltliche Funktion“ und „Sozialkompensatorische Aufgaben“ spiegeln dies wider. Die Begutachtung zur Inanspruchnahme sozialer Leistungen und ergänzende Angebote außerhalb regulärer GKV-Strukturen wie z.B. sozialpsychiatrische Dienste sind in diesem Bereich operative Aufgaben. Grenzen der Handlungsmöglichkeiten werden bei der Beeinflussung ursächlicher Gründe wie z.B. bei sozio-ökonomisch bedingter gesundheitlicher Ungleichheit erreicht. Neue Bestrebungen wie die kommunale Verantwortlichkeit bei der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe werden zu einer Aufgabenmodifikation führen. Diskussion: Der ÖGD als Teil des Sozial- und Gesundheitswesen insbesondere der Kommunen hat einen starken Bezug zu Fragen sozialen Chancengleichheit. Mit Konflikten überlagert wird dies klassisch im individualmedizinischen Bereich mit dem ärztlichen Ethos des Heilen und Helfens und der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben im Rahmen der Begutachtung. Bei bevölkerungsbezogenen Ansätzen sind die Stärken des ÖGD Monitoring und Moderation. Dies wird jedoch zur Zeit noch zu wenig als Instrument aktiver Arbeit im Bereich sozialer Gerechtigkeit verstanden. Schlussfolgerungen: Das Spannungsverhältnis von sozialer Gerechtigkeit zur Aufgabenwahrnehmung des ÖGD wird in den nächsten Jahren zunehmen.