Gesundheitswesen 2004; 66 - 200
DOI: 10.1055/s-2004-833938

Wirtschaftlichkeit und Gerechtigkeit als Programmatik der frühen Sozialmedizin

U Schagen 1
  • 1Forschungsstelle Zeitgeschichte im Institut für Geschichte der Medizin /ZHGB) – Charité Universitätsmedizin Berlin

Im programmatischen Vortrag zur Gründungssitzung der „Gesellschaft für sociale Medizin, Hygiene und Medicinalstatistik“ hieß es 1905, dass die Tätigkeit sich auf den Grenzgebieten von Volkswirtschaft und Medizin bewegen soll. Zweck der Medizin sei im weitesten Sinne die Erhaltung, Förderung oder Wiederherstellung der Gesundheit. Da die Gesundheit die Voraussetzung für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und das ökonomische Wachstum sei, sei sie auch ein wichtiger Faktor der Volkswirtschaft.

Dargestellt werden soll, welches die sozialpolitischen und wissenschaftlichen Anlässe und Fragen zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren, die über die Diskussion wissenschaftlich immanenter methodischer Fragen hinaus Hochschulmediziner, sozialmedizinische Praktiker, Gesundheitsbeamte und Sozialpolitiker in einer Gesellschaft zusammen führte.

Methodisch wird auf einer historisch-kritischen Quellen- und Diskursanalyse aufgebaut.

Es kann dargestellt werden, wie am Rande staatlichen Handelns und „practischer Socialpolitik“ ein neues Grenzgebiet beschrieben, von dem „Anregung und Aufklärung“ „zum Nutzen der socialen Wohlfahrt“ erhofft wurde. Nicht die direkte „practische Socialpolitik“ sondern die theoretische Verständigung von Medizin und Wirtschaft war das Programm, das nicht nur bei klinisch und sozialhygienisch tätigen Ärzten und Wissenschaftlern, sondern auch bei Beamten und Volkswirten, bei Mitarbeitern der preußischen Ministerien, der Versicherungs- und statistischen Ämter auf Resonanz stieß. Aber auch unter den Herausgebern einschlägiger wissenschaftlicher Zeitschriften, den Sekretären und Vorstandsmitgliedern der in diesem Arbeitsfeld tätigen wissenschaftlichen und volksaufklärenden Gesellschaften wie bei Reichstagsmitgliedern und Stadtverordneten fanden sich zahlreiche Mitglieder.

Diskutiert werden Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen dem Ausgangszeitpunkt der Gesellschaftsgründung über das folgende 20. Jahrhundert.