Gesundheitswesen 2004; 66 - 212
DOI: 10.1055/s-2004-833950

Public Health-relevante Entwicklungen der Humangenomforschung

C Wewetzer 1
  • 1Zentrum für Gesundheitsethik, Hannover

Hintergrund: Seit etwa 30 Jahren entwickeln sich die chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, Diabetes, Alzheimer zu häufigsten Krankheiten der Bevölkerung in den Industrienationen. Diese Krankheiten entstehen aus dem Zusammenwirken schädigender Umweltfaktoren und genetischer Dispositionen, wobei unter Umweltfaktoren im weitesten Sinne biologische, chemische, physikalische und lebensweltlich-soziale Parameter zu verstehen sind. Die führenden Wissenschaften der Public Health-Forschung haben sich bei der Erforschung von krankheitsauslösenden Ursachen vorwiegend auf diejenigen Risikofaktoren konzentriert, die außerhalb des menschlichen Körpers liegen. Die raschen Fortschritte der Genetik und die vor allem im Verlauf des Humangenomprojektes entwickelten Technologien werden zukünftig vermehrt dazu beitragen, die Einflüsse von Umweltfaktoren auf das Genom bzw. auf die Genfunktion zu untersuchen und zu neuen Erkenntnissen über den Einfluss genetischer Mutationen und Suszeptibilitäten auf die Entstehung der in der Bevölkerung weit verbreiteten chronischen Erkrankungen führen. Damit wird die Erwartung verbunden, Krankheitsrisiken individuell diagnostizieren und gezieltere Präventionsmaßnahmen entwickeln zu können. Ziel: In diesem Beitrag werden Entwicklungen der Humangenomforschung (Stichwort: „Postgenom-Ära“) vorgestellt und diskutiert, welche konkreten Möglichkeiten sich für die Medizin, insbesondere aber auch für die Anwendung genetischer Erkenntnisse und Techniken in Public Health abzeichnen. Methoden: Auswertung aktueller Literatur. Ergebnisse: Die Sequenzierung des Humangenoms und neue Technologien, wie die Microarray-Technologie und die Bioinformatik, haben zu einem Paradigmenwechsel der biomedizinischen Forschung beigetragen: von der strukturellen zur funktionellen Genomik, von der Genomik zur Proteomik, von der Gen-Wirkung zur Genregulation, von monogenen Erkrankungen zu allen Erkrankungen, von der spezifischen DNA-Diagnostik zum genomweiten Monitoring von Suszeptibilitäten. Diskussion: Es besteht eine erhebliche Lücke zwischen der Genomforschung und der klinischen-präventiven und -therapeutischen Anwendbarkeit der bisher gewonnenen Erkenntnisse. Die Anwendung präventions-relevanter genetischer Tests auf Bevölkerungsebene ist aufgrund des derzeitigen unsicheren Erkenntnisstandes über die Korrelationen zwischen einem genetischen Polymorphismus und der vermutet-assoziierten Disposition bis auf wenige Ausnahmen noch nicht absehbar. Schlussfolgerungen: Es besteht ein erheblicher Bedarf an genetisch-epidemiologischen Studien. In diesem Zusammenhang besteht ein besonderes Interesse an der Einrichtung sog. „Biobanken“. Die Aufgabe von Public Health Genetics wird darin bestehen, Kriterien und Richtlinien für die Beurteilung genetischer Tests und die angemessene Verwendung genetischer Daten zu entwickeln.