Gesundheitswesen 2004; 66 - 239
DOI: 10.1055/s-2004-833977

Alkoholkonsum und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen: Nehmen Risikokonsumenten medizinische Hilfen weniger in Anspruch?

SE Baumeister 1, D Alte 1, C Meyer 1, U John 1
  • 1Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin, Universität Greifswald

Hintergrund: Internationale Untersuchungen zeigen, dass medizinische Leistungen von Personen mit riskantem Alkoholkonsum seltener beansprucht werden. Ziel: In der vorliegenden Studie wird der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen untersucht. Methoden: Für die Region Vorpommern wurde im Rahmen der „Study of Health in Pomerania (SHIP)“ eine zu 68,8% ausgeschöpfte einwohnermeldeamtsbasierte Zufallsstichprobe (N=4310) persönlich befragt. Probanden wurden in abstinente Personen (kein Alkohol im letzten Jahr, n=371), moderate Alkoholkonsumenten (Männer <30g/Tag, Frauen <20g/Tag, n=3299) sowie Risikokonsumenten (Männer >30g/Tag, Frauen >20g/Tag, n=624) unterteilt und hinsichtlich ihrer Allgemeinarzt-, Psychiater- und Zahnarztbesuche im letzten Jahr analysiert. 16 Untersuchungsteilnehmer wurden aufgrund fehlender Werte ausgeschlossen. Ergebnisse: Die alters-adjustierte durchschnittliche Anzahl der Allgemeinarzt- und Internistenkontakte steht in einem umgekehrten Zusammenhang zum Alkoholkonsum (Mittelwerte: abstinente Probanden=7.8, moderate Konsumenten=5.1, Risikokonsumenten=4.7, p<0.01). Signifikante Differenzen fanden sich auch hinsichtlich der Chance (OR) eines Krankenhausaufenthaltes und einer Psychiaterkonsultation im letzten Jahr. Im Vergleich zu abstinent lebenden Untersuchungsteilnehmern hatten moderate Konsumenten (OR=0.5) und Risikokonsumenten weniger wahrscheinlich einen Krankenhausaufenthalt. Einen Psychiater bzw. Psychotherapeuten hatten moderate (OR=0.62) und Risikokonsumenten (OR=0.34) im Vergleich zu abstinenten Probanden ebenso mit geringerer Wahrscheinlichkeit aufgesucht. Einen Zahnarzt haben moderate Alkoholkonsumenten (OR=2.18) und Risikokonsumenten (OR=1.47) im Gegensatz zu abstinenten Personen im letzten Jahr jedoch eher aufgesucht. Diskussion: Unter den abstinent lebenden Personen finden sich vermutlich vermehrt ehemalige Konsumenten, die aufgrund einer Erkrankung den Alkoholkonsum beendet haben. Risikokonsumenten sind entweder unaufmerksamer gegenüber ihren körperlichen Beschwerden oder seltener krank. Lediglich zahnmedizinische Leistungen werden von Studienteilnehmern mit moderatem und riskantem Konsum häufiger aufgesucht. Schlussfolgerungen: In der medizinischen Versorgung lassen sich Personen mit riskantem Alkoholkonsum zwar erreichen, jedoch sollten alternative Zugangswege wie beispielsweise das Arbeits- oder Sozialamt in Erwägung gezogen werden.