Gesundheitswesen 2004; 66 - 240
DOI: 10.1055/s-2004-833978

Die Befragungssituation und mögliche Effekte auf Prävalenzen von Symptomen. Ergebnisse aus einem Vergleich zweier Forschungsdesigns zur Erfassung von emotionalen Auffälligkeiten und Verhaltensauffälligkeiten

U Prüß 1, S von Widdern 2, C von Ferber 1, L von Ferber 1, M Döpfner 2, G Lehmkuhl 2
  • 1PMV Forschungsgruppe an Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Universität zu Köln
  • 2Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Universität zu Köln

Hintergrund: Im Rahmen eines Interventionsprojektes wurden bei Schülerbefragungen zur Erfassung von selbsteingeschätzten emotionalen Auffälligkeiten und Verhaltensauffälligkeiten mittels des Youth Self-Report (YSR) im Vergleich zur Normierungsstudie sehr hohe Prävalenzen gefunden. Ziel: Das Forschungsprojekt untersucht den Einfluss der Befragungssettings „Schule“ und „Haushalt“ auf die Prävalenzraten von Symptomen. Methoden: Daten von zwei regionalen Erhebungen in Klassenzimmern (Rostock, n=371; Ruhrgebiet, n=868) wurden mit den in Haushalten erhobenen Daten aus der bundesweiten PAK- KID- Studie (n=1222) verglichen. Für die Analyse wurden die Datensätze der 13- bis 18-Jährigen einbezogen. Statistische Auswertungen basieren auf den Vergleichen der Mittelwerte und Standardabweichungen der Problemskalen sowie dem t-Test für unabhängige Stichproben. Sie wurden für die Geschlechter getrennt ausgeführt. Als Maß für die Größe des Unterschiedes wurden die Effektstärken nach Cohen berechnet. Ergebnisse: 1. Die in den Schulerhebungen gefundenen Mittelwerte unterscheiden sich bis auf die Skala „körperliche Beschwerden“ und „internale Befindensstörungen“ nicht signifikant voneinander (für beide Geschlechter). 2. Die Differenzen zwischen den Ergebnissen der Schulbefragungen und der Haushaltsbefragung sind statistisch hoch signifikant und betreffen systematisch fast alle Problemskalen. Die Höhe der Effektstärken ist geschlechtstypisch ausgeprägt, für die Mädchen besonders in den emotionalen Befindensstörungen, für die Jungen in den externalen Verhaltensauffälligkeiten. Diskussion: Bisher wurden in vergleichenden Studien, die YSR- Daten aus Haushaltsbefragungen verwendeten, keine bedeutenden Kultureffekte gefunden. Dagegen liegen die Prävalenzen anderer epidemiologischer Studien aus nationalen wie internationalen Schulbefragungen in der Regel ebenfalls deutlich höher als Referenzstudien. Schlussfolgerungen: Der Situationskontext bei schriftlichen Befragungen zur Selbsteinschätzung des Befindens und Verhaltens hat vermutlich einen bisher deutlich unterschätzten Einfluss auf die Prävalenz von Symptomen. Dies sollte bei zukünftigen Vorhaben für Planung, Auswertung und Interpretation bedacht werden.