Infektionen sind häufige Begleiterkrankungen bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen
oder anderen unheilbaren Erkrankungen. Die Behandlung mit Antibiotika ist eine Routinemaßnahme,
und für die meisten Infektionen liegen zahlreiche Studien zu Indikation und Outcome-Kriterien
sowie Richtlinien und Standards vor. In der Palliativmedizin existieren dagegen keine
spezifischen Richtlinien zum Infektionsmanagement und zur Entscheidungsfindung. In
klinischen Studien wurden bei 40% bis ca. 55% der Patienten mit weit fortgeschrittenen
Tumorerkrankungen Infektionen nachgewiesen. Harnwegsinfekte und pulmonale Infekte
sind dabei die häufigsten Infektionsarten. In einigen Studien wird der Einsatz von
Antibiotika bei Palliativpatienten im Endstadium der Erkrankung als wenig sinnvoll
oder aggressive Maßnahme in der Palliativmedizin beurteilt, während in anderen Studien
Antibiotika als Teil der Symptomkontrolle in der Palliativmedizin für erforderlich
gehalten werden.
In einer von der Deutschen Krebshilfe geförderten Studie wird der Einsatz von Antibiotika
in der Palliativmedizin in mehreren qualitativen und quantitativen Teilprojekten untersucht.
Die Einstellungen zur antibiotischen Therapie des Palliativteams und die Umsetzung
in die klinische Praxis sollen beispielhaft für Therapieplanung und Absprachen über
den Verzicht auf Maßnahmen in der Palliativmedizin in Deutschland untersucht werden.
Im Rahmen dieses mehrstufigen Forschungsprojektes trat im November 2003 eine Expertengruppe
mit Teilnehmern aus Deutschland und Österreich zu einer Fokusgruppe zusammen. Ziel
dieser Fokusgruppe war es anhand ausgewählter Fallbeispiele Problembereiche zu identifizieren,
das eigene Vorgehen zu reflektieren, Hypothesen zum Einsatz von Antibiotika in der
Palliativmedizin zu generieren und für einen Fragebogen hypothetische Fallbeispiele
zu entwickeln. Insgesamt wurden sechs palliativmedizinische Fälle in der Fokusgruppe
vorgestellt und diskutiert. Hierbei wurden als Indikationen zur antibiotischen Therapie
infektiöse Pneumonie, Aspirationspneumonie, Harnwegsinfekt, Sepsis, Prophylaxe einer
Katheterinfektion und eine Hautinfektion genannt.
Anhand dieser Fallbeispiele konnten unter anderen die folgenden Problembereiche identifiziert
werden: Unsicherheit in der Diagnostik durch Verzicht auf belastende Untersuchungsmethoden,
Absprache der Therapieziele mit Patienten, juristische Unsicherheit bezüglich Verzichtsentscheidungen
und das Fehlen einheitlicher empirischer Outcome-Kriterien. Der Verlauf der Diskussion
zeigte die Unterschiede in den Einstellungen und Bewertungen zur antibiotischen Therapie
und verdeutlichte so die Notwendigkeit einer eingehenderen Untersuchung der zugrunde
liegenden Entscheidungsprozesse und der Umsetzung in der klinischen Praxis. Die in
der Fokusgruppe entwickelten Fallvignetten werden in einer zurzeit laufenden Befragung
eingesetzt.