In der Behandlung unheilbarer, die Lebenszeit begrenzender Erkrankungen wird häufig
eine zunächst sinnvolle Therapie abgebrochen, weil sie im Verlauf zu belastend wird
und mögliche Vorteile für den Patienten immer weiter in den Hintergrund treten. Neue
Therapieziele müssen dann oft festgelegt werden. Ein wesentlicher Aspekt der Palliativmedizin
ist daher die Verständigung mit dem Patienten und dessen Angehörigen über sinnvolle
Behandlungsziele, die im wesentlichen vom Zustand des Patienten abhängen und sich
rasch ändern können.
Fallbericht: Eine 40-jährige Patientin war an einem malignen Melanom in der linken Axilla erkrankt.
Zunächst standen mit dem Ziel der Heilung Operation, Bestrahlung und Chemotherapie
im Vordergrund der Behandlung. Nach einem Rezidiv mit diffuser Metastasierung waren
insbesondere Schwäche und Müdigkeit im Sinne eines Fatigue-Syndrom vorrangige Behandlungsgründe.
Die Patientin wurde nach anfänglich ambulanter Betreuung durch die Klinik für Palliativmedizin
auch mehrfach stationär behandelt. Zunächst erfolgte durch eine medikamentöse Therapie
mit Modafinil sowie durch Physiotherapie und Lymphdrainage eine Verbesserung der Symptome.
Dieser Behandlungserfolg war jedoch von kurzer Dauer, die Versorgung des Haushalts
und die Betreuung ihrer 11-jährigen Tochter war der Patientin bald nicht mehr möglich.
Es wurde im weiteren Verlauf in intensiven Gesprächen versucht, eine Akzeptanz für
die herabgesetzte Leistungsfähigkeit zu erreichen. Zunehmende Schmerzen führten außerdem
zu einer Erhöhung der bereits vorhandenen Opioid-Medikation. Schmerzlinderung wurde
nun oberstes Behandlungsziel, Müdigkeit und Aktivitätsverlust als Nebenwirkung wurden
seitens der Patientin jetzt toleriert. Rasches Wachstum des Lokalrezidivs führte zu
Blutungen und Ulcerationen, was die Patientin mit Angst und Unruhe erfüllte, und eine
leichte Sedierung mit Benzodiazepinen nach längerer Beratung sinnvoll erscheinen ließ.
Die Patientin hatte mittlerweile ihre Pflegebedürftigkeit akzeptiert und wollte ihre
letzten Lebenstage zu Hause verbringen. Sie wurde entlassen und noch eine Woche durch
einen ambulanten ärztlichen „Home-Care“ Dienst versorgt, bevor sie im Kreis ihrer
Familie verstarb.
Im dargestellten Fall stand zunächst die Behandlung des Fatigue-Syndroms im Vordergrund.
Im Laufe der Betreuung änderten sich die Symptome dahingehend, dass sich ein zunächst
zu behandelndes Symptom, die Müdigkeit (bzw. Fatigue), im weiteren Verlauf aufgrund
voranschreitender Erkrankung und auftretender Schmerzen in eine akzeptierte Nebenwirkung
wandelte und zuletzt sogar einen erwünschten Zustand darstellte.
Behandlungsziele können sich im Verlauf einer Erkrankung verändern. Die Anpassung
von Therapiezielen an die Bedürfnisse des Patienten ist ein dynamischer Prozess und
setzt neben der Analyse der klinischen Situation einen kontinuierlichen Dialog zwischen
Patient und Behandler voraus.