Die „Normalen“ einer Gesellschaft bedürfen einer oder mehrerer stigmatisierter Personengruppen,
um sich selbst ihrer Normalität vergewissern zu können. Stigmatisierung entspricht
also einem starken und allgemeinen Bedürfnis jeder Gesellschaft. Andererseits widerspricht
ein exzessives Ausleben dieses Bedürfnisses den Maximen einer aufgeklärten demokratischen
Gesellschaft. Drogenabhängige bieten sich mit einer Fülle von Attributen zur Stigmatisierung
geradezu an. Besonders tragisch ist, dass die meisten ihrer Attribute durch eine historische
Entscheidung der Gesellschaft hervorgerufen wurden, durch den prohibitionsbedingten
hochriskanten Lebens- und Konsumstil. Ihr Stigma ist also in doppelter Weise gesellschaftlich
aufgezwungen. Einmal als Diskreditierung eines Lebensstils und zum Zweiten als Diskreditierung
der Folgen der Prohibition. Die Stigmatisierung von Drogenabhängigen setzt sich auf
allen Ebenen der Gesellschaft fort, sogar bis in ihr Hilfs- und Versorgungssystem
hinein. Die komplexen Identifizierungsprozesse und die artifiziellen Kommunikationsstile,
die ihnen die Stigmatisierung aufzwingt, erschweren Therapie und Rehabilitation erheblich.
Eine ernst zu nehmende schadensmindernde Drogenpolitik muss deshalb immer auch gegen
die Stigmatisierung ankämpfen, selbst auf die Gefahr hin, in diesem Kampf selbst Opfer
stigmatisierender Zuweisungen zu werden.