Die umfassende Behandlung, Pflege und Begleitung von Schwerkranken und deren Angehörigen
erfordert qualifizierte Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen. Als eine maßgebliche
Schlüsselqualifikation stellte die Pflegewissenschaftlerin Hilde Steppe im Jahr 1996
die „hermeneutische“ Kompetenz dar. Mit der hermeneutischen Kompetenz ist die Fähigkeit
gemeint, im holistischen Assessment einer Patientensituation zur diagnostischen Anamnese
auch eine hermeneutische Anamnese zu erheben. Geht man beispielhaft von der Symptomanamnese
aus, so geht es nicht nur darum zu erfassen, dass das Phänomen Fatigue, Schmerz oder
Angst vorhanden ist, sondern mit dem Betroffenen frühzeitig in einen Dialog darüber
zu gelangen, was die Fatigue, der Schmerz, die Angst für den Betroffenen „bedeutet“,
damit er diese Symptome/Phänomene besser versteht und die Chance zur Befähigung erlangt,
damit entsprechend umzugehen. Mit der hermeneutischen Kompetenz ist der „verstehende“
Umgang gemeint. Es handelt sich um das Erfassen, das Verstehen des individuellen Bedeutungsaspektes
von Krankheit, Sterben, Tod und Trauer für den Betroffenen und seine Angehörigen.
Wesentlich erscheint hier, dem Betroffenen und seinen Angehörigen frühzeitig die Fähigkeit
zu vermitteln, im Erleben von schwerer Krankheit durch eine individuelle Aufklärung,
Information und Beratung (Patientenedukation) ihre Situation mit ihren entsprechenden
Auswirkungen, Einschränkungen und Phänomenen zu verstehen und diese im verstehenden
Umgang zu bewältigen (Coping). Dem therapeutischen Team kommt hier eine maßgebliche
Aufgabe zu, über der Berücksichtigung der hermeneutischen Aspekte die Betroffenen
in ihrem Selfmanagement, Empowerment und Coping zu stärken und zu begleiten. Dies
stellt eine gelungene und von der WHO (2002) geforderte Intervention in ihrer Definition
von Palliative Care im Sinne von Prävention in der Palliation dar und sollte noch
viel mehr berücksichtigt werden in der umfassenden Betreuung von schwerkranken Menschen
wie auch deren Angehörigen.