Aktuelle Neurologie 2005; 32 - 173
DOI: 10.1055/s-2005-866708

Häufigkeit, Art und Verlauf dystoner Symptome bei progressiver supranukleärer Blickparese und Multisystematrophie

C Schrader 1, T Weiskirch 1, S Süßmuth 1, B Herting 1
  • 1für die NNIPPS-Studien-Gruppe

Bisher publizierte Daten zur Häufigkeit (MSA: 12–40%; PSP: 8–46%), Verteilung und zum Zeitpunkt der Erstmanifestation von dystonen Symptomen bei progressiver supranukleärer Blickparese (PSP) bzw. Multisystematrophie (MSA) variierten beträchtlich. Daher analysierten wir die klinischen Charakteristika dystoner Symptome bei Patienten, die an drei deutschen Zentren an der multizentrische NNIPPS-(Neuroprotection and Natural history in Parkinson-Plus-Syndromes-) Studie teilgenommen haben.

Patienten und Methoden: Insgesamt 81 Patienten mit PSP (n=39; 15 Frauen, 24 Männer; mittleres Erkrankungsalter 63,6 Jahre (54–77)) oder MSA (n=42; 23 Frauen, 19 Männer; mittleres Erkrankungsalter 57,9 Jahre (45–72)) wurden über 3 Jahre vierteljährlich prospektiv standardisiert untersucht und teilweise videodokumentiert. Anschließend wurden die Häufigkeit dystoner Symptome, deren topische Verteilung sowie ihr natürlicher Verlauf ausgewertet.

Ergebnisse: Im gesamten Beobachtungszeitraum traten dystone Symptome bei 28/42 MSA-Kranken (67%) und bei 30/39 PSP-Kranken (77%) auf. Als häufigste Dystonieformen der PSP fanden sich Rumpfdystonie (Extension oder Pisa-Syndrom) bei 19/39 (49%), Retrokollis oder zervikale Dystonie bei 22/39 (56%) und faziale Formen bei 19/39 (49%). Dystonie an der oberen Extremität trat bei 20 (51%) und an der unteren Extremität bei 17 PSP-Patienten (43,6%). 15/30 (50%) PSP-Kranken mit Dystonie hatten bei Studieneinschluss bereits dystone Symptome, die sich zu 66% zervikal u./o. trunkal manifestierten. Jeweils 2 Kranke entwickelten nach Einschluss Erstsymptome zervikal, fazial oder an den Beinen, 1 am Rumpf und 4 an den Händen. Bei 4 weiteren trat Dystonie multifokal auf. PSP-Patienten mit Dystonie hatten bei gleicher Erkrankungsdauer bei Erstmanifestation eines dystonen Symptoms einen höheren Score im UPDRS III als diejenigen ohne Dystonie.

Auch bei MSA war die häufigste dystone Erscheinungsform die Rumpfdystonie (13/42, 31%), gefolgt von Manifestationen an den unteren Extremitäten (12/42, 29%). Dystonie i.S.e. Antekollis hatten 11/42 (26%), im Gesicht 10/42 (24%) und an den Händen 9/42 (21%). Bereits bei Studieneinschluss hatten 79% der MSA-Patienten mit Dystonie (22/28) dystone Zeichen, die sich zu 54% (12/22) vornehmlich axial manifestierten. Dystone Erstmanifestationen während der Studie war bei 4 Patienten ein Pisa-Syndrom und bei je 1 ein Antekolllis bzw. and der Hand. MSA-Kranke mit und ohne Dystonie unterschieden sich bei gleicher Erkrankungsdauer nicht wesentlich im UPDRS III.

Schlussfolgerungen: Dystone Symptome sind bei den atypischen Parkinson-Syndromen MSA und PSP häufiger als bislang berichtet und treten schon früh im Verlauf der Erkrankung auf. Sowohl bei MSA als auch bei PSP scheint die axiale Muskulatur besonders von dystonen Bewegungsstörungen betroffen zu sein. Genauso oft wie die so genannten „red flags“ Ante- und Retrokollis tritt offensichtlich Dystonie der Rumpfmuskulatur auf, ist aber weniger spezifisch.