DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2005; 3(02): 1
DOI: 10.1055/s-2005-868411
Editorial
Editorial
Stuttgart

Placebo: Heiltechnik und Heilkunst

K.-L. Resch
Further Information

Publication History

Publication Date:
14 April 2005 (online)

Placebo! Synonym für Scharlatanerie, Quacksalberei, Kurieren mit geschlossenen Augen? Inhärent unethisch, da dem Patienten vorgegaukelt wird, eine unwirksame Handlung wäre therapeutisch wirksam?

Placebos werden klassischerweise in der Arzneimittelforschung eingesetzt, da die Zulassungsbehörden der meisten Industrieländer placebokontrollierte Studien fordern. Dabei wird einem Medikament ohne einen arzneilich wirksamen Stoff in der Kontrollgruppe ein äußerlich identisches Medikament gegenübergestellt, das als einzigen Unterschied zusätzlich den Wirkstoff enthält, für den die Zulassung beantragt wird.

Ein ausgeprägter Placeboeffekt (häufig konzeptionell weiter gefasst auch als „unspezifischer Effekt“ bezeichnet) ist pharmazeutischen Unternehmen verständlicherweise ein rechtes Ärgernis, denn sein Anteil am Gesamteffekt geht unweigerlich zu Lasten des spezifischen Effektes der Arzneisubstanz (die den geforderten Preis begründet).

Der Anteil des Placeboeffektes am Gesamteffekt kann auch in anderen Therapiebereichen erheblich sein, etwa bei invasiven Maßnahmen. In einer jüngst publizierten Studie unterschieden sich die Ergebnisse in Bezug auf Schmerz und Funktion im Verlauf von zwei Jahren nach einer Arthroskopie bei Kniegelenksarthrose nicht voneinander, gleichgültig, ob ein Debridement oder eine Lavage des Kniegelenkes durchgeführt wurde, oder ein Debridement nur simuliert und lediglich drei kleine Hautinzisionen gemacht wurden (1).

Gerade bei Therapien, die eine „heilsame Reaktion“ des Organismus in Gang setzen und/oder unterstützen wollen, scheint eine klare Abgrenzung zwischen den Konstrukten „spezifisch“ und „unspezifisch“ schwierig - häufig werden beide parallel wirksam. Eine in der Zeitschrift Science publizierte Studie liefert für das Verständnis dieses Zusammenspiels möglicherweise bahnbrechende neue Erkenntnisse (2). Gleiche elektrische Reize lösten bei Probanden - kernspintomographisch objektiviert - völlig unterschiedliche Aktivitäten im Gehirn aus, je nachdem, ob ihnen eine nicht schmerzwirksame Salbe als „Placebo“ oder als „analgetisch wirksam“ vorgestellt wurde. Die Erwartung einer analgetischen Wirkung erhöhte die Aktivität in den schmerzverarbeitenden Regionen des Gehirns (insbesondere des präfrontalen Cortex). Mit anderen Worten: Schmerzreduktion kann durch ein Analgetikum an der schmerzenden Stelle („spezifischer Effekt“) und/oder durch eine verbale Beeinflussung der schmerzsensitiven/schmerzverarbeitenden Areale im Gehirn („unspezifischer Effekt“) induziert werden.

Dass eine gute osteopathische Behandlung mehr ist als der adäquate Einsatz osteopathischer Techniken, wissen gute Osteopathen, bestätigen zufriedene Patienten. Wenn ein Patient Hilfe sucht, kommt es ihm vor allem darauf an, wie „gut eine Therapie ist“, also wie sehr bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit ihm geholfen wird. In diesem Sinne nutzt ein Therapeut die Potenziale eines Verfahrens optimal, wenn er sowohl die spezifischen wie die unspezifischen Effekte möglichst umfassend „ausschöpft“. Das Geheimnis osteopathischer Erfolge, ein ganzheitliches therapeutisches Vorgehen, kann durchaus auch so verstanden werden: ars et scientia curandi, die Kunst und die Technik zu heilen.

K.-L. Resch, Bad Elster