DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2005; 3(02): 28-29
DOI: 10.1055/s-2005-868419
Focus
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Stuttgart

Wie wichtig ist die visuelle Wahrnehmung in der Osteopathie?

Pro&Contra
Rob Muts
D.O.
,
Etienne Cloet
D.O. M.R.O.
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Publication History

Publication Date:
14 April 2005 (online)

Pro

Rob Muts, D.O.

Präsident des Niederländischen Akademischen Collegs für Osteopathie (NACO), Amsterdam, sowie Leiter des College Sutherland, Niederlande

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Die Augen sind für Osteopathen die „Vermittler“ zwischen dem, was man fühlt, empfindet, palpiert und der Reaktion des Patienten, auf allen Ebenen. Durch genaues „Hinsehen“ kann der Osteopath erkennen, ob der Patient wirklich ehrlich reagiert oder ob er versucht, den Therapeuten zu täuschen. Auf allen Ebenen bedeutet sowohl auf der körperlichen als auch auf der psychischen, auf der energetischen und sogar auf der existenziellen Ebene. Über die Augen stellt man auch eine wichtige Patient-Therapeut-Beziehung her. In den Augen des Patienten kann man ablesen, in wie weit er sich tatsächlich auf die Therapie einlässt oder ob er verstanden hat, was passiert. Umgekehrt braucht auch der Patient die Augen des Therapeuten, um eine Rückmeldung zu erhalten.

Die visuelle Wahrnehmung verschafft uns unzählige Informationen „auf einen Blick“. Sie dient auch als Kontrollorgan für die Therapie. Hat sich tatsächlich etwas verändert? Steht, sitzt, läuft, spricht, schaut der Patient anders nach der Therapie? Hat er etwas gelernt? Zudem lesen wir bewusst oder unbewusst in den Augen des Patienten. Sie drücken viele Emotionen aus, wie Liebe, Abstand, Depression und Wut.

Obwohl man im osteopathischen Kontext gerne über Gefühl, Spüren, Wahrnehmung der Fluida, Propriozeptive Empfindung, usw. redet, sind meines Erachtens alle Sinnesorgane wichtig. So spricht man in verschiedenen alten Formen der Heilkunde sogar vom Geruch des Patienten als diagnostisches Element. Die Augen sind meiner Meinung nach innerhalb der osteopathischen Untersuchung und Behandlung eines der essenziellen Elemente.

Wahrnehmung

Mit den Augen oder besser mit unserem Blick lassen sich etwa der Körperbau, die Art der Bewegungen der Wirbelsäule und der Extremitäten, die Atmung und vieles mehr wahrnehmen. Auch am Gesicht der Patienten lässt sich viel ablesen. Der primäre Anblick, die Falten, der Ausdruck, all das verschafft uns Informationen.

Die Augen spiegeln die Wechselwirkung zwischen sinnlichen Wahrnehmungen und körperlichen Ausdrücken wider. Mit den Augen lesen wir auch „zwischen den Zeilen“ und geben diese Information weiter, in einem weitaus höherem Umfang als uns das bewusst ist.

Über die Information, die wir mit unseren Augen erhalten, bekommen wir ein einsichtiges, klares und vollkommenes Denken. Das ist ein wichtiger Bestandteil unserer Intuition, solange wir diese nicht unter Stress abschalten.


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Kommunikation

Andererseits gebietet uns die Ethik, dass wir unserem Patienten wesentliche Informationen über seine Krankheit, deren Bedeutung, unsere Ratschläge, usw. vermitteln. Dabei spielen die Augen des Osteopathen eine wichtige Rolle für den Patienten. Er kann viel von den Augen des Osteopathen ablesen.


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Interpretation

Dennoch muss man aufpassen, dass man sich durch seine visuellen Eindrücke „nicht aufs Glatteis“ führen lässt. Es braucht immer wieder eine Überprüfung „mit welcher Brille“ man gerade schaut. Nicht immer ist das, was man sieht die „Wahrheit“. Daher ist eine Abstimmung mit den anderen Sinnen notwendig. Was sieht man und was will man sehen? Was ist die Wahrheit des Patienten und was ist die Wahrheit über den Patienten? Es ist wichtig, mit verschiedenen Wahrnehmungen zu arbeiten, je mehr Transparenz man in seinen Befunden findet, desto objektiver werden die Untersuchung und Evaluierung.

Fast alle Formen der Wahrnehmungen sind subjektiv, wie Sehen, Riechen, Fühlen, usw. Unser Geist hat dabei die Funktion, die Zusammenarbeit unserer Sinnesorgane und unseres Intellektes herzustellen. Die Interpretation ist abhängig von der „Brille“, mit der man schaut.

Schließlich arbeitet der Osteopath auch mit seiner Vorstellungskraft, der Räumlichkeit der Spiritualität, dem Ursprung der Kreativität. Diese Vorstellungskraft oder positive Phantasie wird zu einem wichtigen Teil genährt über unsere (unbewusste) visuelle Wahrnehmung.


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Fazit

Was das Auge nicht sieht, beschwert das Herz nicht, sagt man. Besser ist es, dieses Sprichwort umzudrehen, wenn man sein osteopathisches Herz auf dem rechten Fleck hat: was das Auge sieht, öffnet das Herz, um das kreative Kunstwerk der Behandlung zu realisieren.

Vergleichen wir den Patienten mit einer Pflanze: seine Wurzel, den Stiel und seine Blätter kann man spüren, seine Blüten hingegen muss man sehen.


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