Aktuelle Neurologie 2005; 32 - M145
DOI: 10.1055/s-2005-919246

Plastizität im Alter am Beispiel des Autofahrens

L.J Jäncke 1
  • 1Zürich, CH

Die gängige Meinung ist, dass mit zunehmendem Alter viele psychische Funktionen an Leistungsfähigkeit verlieren. Genährt wird diese Vermutung durch Untersuchungen, die belegen wollen, dass ältere Personen mit zunehmendem Alter in vielen psychischen Teilfunktionen schlechtere Leistungen als ihre jüngeren Zeitgenossen erzielen. Meist entstammen diese Daten aus Studien, in denen nur mehr oder weniger oberflächlich neurologische, neuropsychologische, oder soziale Grundstörungen ausgeschlossen wurden. Im Grund birgt dieser Versuchsansatz mehrere fundamentale Probleme in sich. 1. Es wird nicht gründlich genug nach möglichen neurologischen, neuropsychologischen und sozialen Defiziten gesucht, die möglicherweise einen negativen Einfluss auf die psychischen Leistungen haben könnten. 2. Es wird nicht überprüft, zu welchen psychischen Leistungen Menschen mit zunehmendem Alter wirklich noch fähig sind. 3. Es wird trotz statistisch signifikanter Unterschiede nicht berücksichtigt, ob die erfassten „Defizite“ älterer Menschen wirklich im Alltag negative Auswirkungen haben. Dies zeigt sich insbesondere bei der Diskussion, ob ältere Menschen noch Fahrtauglich sind. Gerade das Führen eines Kraftfahrzeugs ist eine komplexe Tätigkeit, welche das sinnvolle und effiziente Zusammenspiel vieler psychischer Funktionen erlaubt. Hierbei wird aus der Sicht der Neuropsychologie vernachlässigt, dass die Fahrleistung sich nicht durch einfache lineare Addition bzw. Kombination der einzelnen psychischen Funktionen ergibt, sondern durch eine bislang noch nicht gänzlich verstandene Interaktion der verschiedenen Teilfunktionen hergestellt wird. So können z.B. leichte Funktionseinschränkungen in einigen Teilfunktionen durch Kompensation in anderen Funktionsbereichen ausgeglichen werden. Dies ist insbesondere bei der Fahrtauglichkeitsprüfung im Alter auffällig, wo neurologisch gesunde aber auch neurologisch kranke ältere Personen in neuropsychologischen Teilfunktionen erhebliche Defizite aufweisen, aber in extern validen Fahrsimulationen unauffällige bzw. sehr gute Fahrleistungen erbringen. Darüber hinaus wurde bislang der bemerkenswerten Trainierbarkeit psychischer Funktionen kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Im Rahmen dieses Beitrages wird ein Umdenken im Hinblick auf die Überprüfung der Fahrtauglich vorgeschlagen. Darüber hinaus wird angeregt, dass mit zunehmendem Alter Trainingsmassnahmen zur Verbesserung bzw. Wiederherstellung der Fahrtauglichkeit angeboten werden.