Aktuelle Neurologie 2005; 32 - V182
DOI: 10.1055/s-2005-919254

Dynactin 1-Gen-Mutationen bei Motoneuronerkrankungen

A.D Sperfeld 1, H.J Gdynia 1, M Kuzma 1, C Münch 1, G Stumm 1, A Kurt 1, V Homberg 1, T Meyer 1, R Sedlmeier 1, J Kassubek 1, A.C Ludolph 1
  • 1Ulm; Warschau, PL; Berlin, Martinsried, München

Verschiedene Erkrankungen mit Affektion des ersten und zweiten motorischen Neurons zeigen eine selektive Vulnerabilität motorischer Nervenzellen. Ein allgemein gültiger Pathomechanismus ist bislang nicht bekannt, wohl aber scheint der axonale Transport eine nicht unwichtige Rolle zu spielen. Genetische Abnormitäten in Proteinen, die im axonalen Transport entscheidende Funktionen einnehmen, können die Grundlage definierter Motoneuronerkrankungen wie z.B. Varianten der hereditären spastischen Spinalparalyse oder auch der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) sein. Über Ergebnisse aus Tiermodellstudien zum axonalen Transport kristallisierten sich genetische Veränderungen des Multiproteinkomplexes Dynactin als Suszeptibilitätsfaktor bzw. Kandidaten für das Entstehen einer motorischen Systemdegeneration heraus. Ausgehend von Einzelfallberichten von Patienten mit Motoneuronerkrankungen untersuchten wir die p150 Untereinheit des Dynactin 1-Gens (DCTN1) in 552 Motoneuronpatienten. Dabei fanden wir verschiedene missense-Mutationen in Exon 7, 13, 15, 20, 27 und 31 sowie Mutationen im Intron 2 und 28, die zu Veränderungen beim Splicing der DCTN1-prä-mRNA führten. Alle Veränderungen wurden im gleichzeitig analysierten Normalpersonenkollektiv (n=160) nicht gefunden. Zudem wurde eine Mutation im Exon13 detektiert, die auch bei Normalpersonen zu finden war und somit möglicherweise einen Polymorphismus darstellt.

Die Analyse des Phänotyps bot ein breites Spektrum. Es wurden sowohl die Verläufe einer klassischen ALS als auch Motoneuronerkrankungen mit ungewöhnlichen klinischen und bildmorphologischen Zusatzsymptomen und Betroffene mit bislang ausschließlichem Befall des zweiten Motoneurons beobachtet. Nahezu bei allen Patienten begann die Erkrankung an den oberen Extremitäten. Das Erkrankungsalter, der Progress der individuellen Verläufe hinsichtlich Dauer und Charakteristik der Affektion ließen bislang kein einheitliches Muster erkennen. Wir zeigen, dass Veränderungen im Dynactin 1-Gen ursächlich für die Entstehung motorischer Systemdegenerationen sein können.