Hintergrund: Die Multiple Sklerose (MS) wird als eine Autoimmunerkrankung angesehen, bei der
autoreaktive T-Zellen in das ZNS einwandern und eine gegen die Markscheide gerichtete
Entzündung initiieren. Unklar bleibt, wie diese Autoimmunantwort zur neuronalen Schädigung
führt, die für irreversible neurologische Defizite verantwortlich gemacht wird. Eine
relevante Rolle könnte dem Tumor Nekrose Faktor (TNF) Rezeptor-assoziierten Apoptose-induzierenden
Liganden (TRAIL) zufallen, der bereits in vitro einen schädigenden Einfluss auf humane
Neurone und Oligodendrozyten gezeigt hatte.
Methoden: Experimentell autoimmune Enzephalomyelitis (EAE) wurde (i) im SJL- bzw. im C57BL/6-Mausstamm
via Transfer von Proteolipidprotein (PLP)- oder Myelin Oligodendrozyten-Glykoprotein
(MOG)-spezifischen Wildtyp- bzw. TRAIL(-/-)-T-Zellen (passive EAE) oder (ii) durch
PLP-Immunisierung im SJL-Mausstamm (aktive EAE) ausgelöst. Die ZNS-spezifische Rolle
des TRAIL-Systems wurde durch intrazisternale (i.c.) Injektionen von TRAIL oder TRAIL-R2
untersucht. Analysiert wurden die Krankheitsausprägung sowie neuropathologische (axonaler
Schaden, neurale Apoptose, Entzündung, Entmarkung) und molekularbiologische Parameter
(TRAIL/TRAIL-R2-Expression). Die TRAIL-vermittelte Neurotoxizität von Myelin-spezifischen
T-Zellen wurde in neuronalen Hirnschnittkulturen mithilfe der 2-Photonen-Mikroskopie
untersucht.
Ergebnisse: Durch i.c. Injektion von blockierendem TRAIL-R2 konnte eine signifikante Besserung
des Krankheitsverlaufes in der passiven EAE erreicht werden. Ebenso zeigten TRAIL(-/-)
T-Zellen eine geringere Enzephalitogenität. Gemäß der histopathologischen Analyse
war die intrazerebrale TRAIL-Blockade neuroprotektiv: Es fand sich eine verminderte
Anzahl apoptotischer Neurone sowie ein geringeres Ausmaß des axonalen Schadens und
der Entmarkung. Dagegen führte die intrazerebrale TRAIL-Injektion zu einer deutlichen
Verstärkung der EAE. In den Kokultur-Experimenten zeigte sich eine verminderte Neurotoxität
von Myelin-spezifischen T-Zellen bei Blockade des TRAIL-Systems.
Zusammenfassung: Unsere Untersuchungen weisen darauf hin, dass das TRAIL-System einen wichtigen Beitrag
zum neuronalen Untergang bei T-Zell-vermittelten Entmarkungsprozessen spielt. Daher
kann dem Todesliganden TRAIL in der EAE und in der MS eine duale Rolle bescheinigt
werden, die neben der bekannten immunmodulatorischen Wirkung (außerhalb des ZNS) eine
relevante Beteiligung an Schadensprozessen innerhalb des ZNS einschließt.