Aktuelle Neurologie 2005; 32 - V233
DOI: 10.1055/s-2005-919270

Interaktion vestibulärer und somatoformer Schwindelsyndrome

C Best 1, A Eckhardt-Henn 1, G Diener 1, S Bense 1, P Breuer 1, M Dieterich 1
  • 1Mainz, Göttingen

Vestibuläre und somatoforme Schwindelsyndrome zeigen eine hohe Koinzidenz, was zu pathogenetischen Modellen mit der Hypothese, dass „persistierende vestibuläre Imbalancen“ nach organischer Schädigung zu der Entwicklung somatoformer Schwindelerkrankungen prädisponieren, führte. Ziel der Studie war, den Zusammenhang zwischen vestibulären und somatoformen Syndromen zu untersuchen.

Methodik: Es wurden 128 Patienten und gesunde Kontrollpersonen in folgende diagnostische Gruppen eingeschlossen: (1) Gesunde Kontrollpersonen n=26; (2) Patienten mit benignem peripehren Lagerungsschwindel (BPPV) n=11; (3) Patienten mit Neuritis vestibularis (NV) n=11; (4) Patienten mit M. Menière (MM) n=7; (5) Patienten mit vestibulärer Migräne (VM) n=15; (6) Patienten mit Angststörungen n=23; (7) Patienten mit depressiven Störungen n=12; und (8) Patienten mit somatoformen Störungen n=22. Die neurologische Diagnostik umfasste eine Elektronystagmographie mit kalorischer Prüfung und Drehprüfung, eine orthoptische Untersuchung, die Bestimmung der subjektiven visuellen Vertikalen (SVV), Fundusfotographie, akustisch evozierte sowie klick-evozierte Sacculus Potentiale. Die psychosomatische Diagnostik beinhaltete drei strukturierte Interviews sowie psychometrische Untersuchungen.

Ergebnisse: Patienten mit BPPV (35% Seitendifferenz in kalorischer Prüfung) und mit NV (52% Seitendifferenz in kalorischer Prüfung) wiesen pathologische Werte für die kalorische Prüfung auf (p=0.05). Einzig in der Gruppe der Patienten mit NV fand sich ein pathologisches SVV-Abweichen von 4,3° (p=0.05). Sowohl Patienten mit MM und VM als auch Patienten mit primär psychiatrischen Störungen wiesen normale vestibuläre aber pathologische psychometrische Testparameter auf. Insgesamt fand sich bei den vestibulären und psychometrischen Tests kein Zusammenhang zwischen dem vestibulären Defizit und der Auslösung bzw. Ausprägung einer psychopathologischen Komorbidität.

Folgerung: Ein Zusammenhang zwischen einer vestibulären Imbalance oder Funktionsstörung und einer somatoformen Störung konnte nicht nachgewiesen werden, weder für akute Störungen wie NV noch für chronisch rezidivierende wie BPPV. Damit sind eine höhere Frequenz von Ängstlichkeit und Depressivität nicht durch vestibuläre Funktionsstörungen zu erklären. Einige Patienten, die an VM und an MM erkrankt waren und kein vestibuläres Defizit aufwiesen, zeigten die höchsten Werte an psychiatrischer Komorbidität, ein interessantes Ergebnis, das weiterer Klärung bedarf.