Aktuelle Neurologie 2005; 32 - P400
DOI: 10.1055/s-2005-919434

Schwere Colchicin-Myopathie bei einem Patienten mit familiärem Mittelmeerfieber

S Toussaint 1, E Neuen-Jacob 1
  • 1Ratingen, Düsseldorf

Toxische Myopathien unter Colchicin sind sehr selten. Wir berichten über einen 37 Jahre alten Patienten mit genetisch gesichertem familiären Mittelmeerfieber (FMF) mit homozygoter Mutation M694V, die häufig mit einer Amyloidose und schwerem Krankheitsverlauf assoziiert ist. Wegen einer Amyloidose Typ AA und Niereninsuffizienz hatte der Mann seit 2000 eine Langzeittherapie mit Colchicin erhalten. Seit 4–6 Wochen klagte der Patient über Muskelschmerzen in Schulter- und Beckengürtel. Wegen deutlich erhöhter CK-Werte und einer Myoglobinurie erfolgte eine Muskelbiopsie bei Verdacht auf Myositis.

Die Muskelbiopsien aus dem M. deltoideus und M. quadriceps zeigten in beiden Muskeln als Hauptbefund eine vakuoläre Myopathie mit zahlreichen autophagischen Vakuolen, Proliferation von T-Tubuli, T-System-Netzwerken und cytoplasmatischen Körperchen sowie myofibrillärem Desarrangement, so dass die Diagnose einer Colchicin-Myopathie gestellt werden konnte. Die Befunde wurden überlagert durch eine neurogene Komponente mit felderförmiger Atrophie und Fasertypgrupperung, möglicherweise bei Colchicin-induzierter axonaler Neuropathie und/oder Amyloidose der Nerven sowie durch eine Inaktivitätsatrophie.

Anamnestisch war zu erfahren, dass der Patient wegen verschlechterter Retentionswerte die Colchicindosis über einen Zeitraum von 3 Monaten auf 2mg erhöht hatte. Unter Dosisreduktion von Colchicin normalisierten sich die CK-Werte. Bei der Pathogenese des FMF spielt der Signalübertragungsweg über die Sekretion von Interleukin (IL)-1-beta mit Aktivierung weiterer Zytokine und Unterhaltung des Entzündungsprozesses eine entscheidene Rolle. Wegen eines neuen Schubs des FMF wurde nach Absetzen von Colchicin bei unserem Patienten daher ein Therapieversuch mit dem IL-1-Rezeptorantagonisten Kineret (Anakinra) eingeleitet. Hierunter kam es zu einer Reduktion des Serum Amyloid-A-Proteins und einer subjektiven Beschwerdebesserung.

Schlussfolgerung: Colchicin hemmt die Polymerisation von Mikrotubuli, die für Vesikelbewegungen wesentlich sind, und induziert die Akkumulation von autophagischen Vakuolen durch Hemmung von deren Fusion mit Lysosomen.

Diese Myotoxizität ist dosisabhängig und bei Dosisreduktion reversibel. Unsere Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Muskelbiopsie für die Diagnosestellung. Die Therapie des FMF mit dem Interleukin-1-Rezeptorantagonisten Anakinra stellt möglicherweise eine erfolgversprechende Behandlungsalternative der Niereninsuffizienz bei Amyloidose dar.