Geburtshilfe Frauenheilkd 2006; 66(4): 359-364
DOI: 10.1055/s-2006-923884
Originalarbeit

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Laienätiologische Vorstellungen bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom. Ergebnisse einer monozentrischen Untersuchung

Lay Causal Attributions in Patients with Ovarian Cancer. Results of a Single Center StudyS. Mueller1 , I. Katsares1 , C. Klapp1 , W. Lichtenegger1 , J. Sehouli1
  • 1Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow-Klinikum
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Publikationsverlauf

Eingang Manuskript: 26.8.2005 Eingang revidiertes Manuskript: 18.1.2006

Akzeptiert: 19.1.2006

Publikationsdatum:
11. Mai 2006 (online)

Zusammenfassung

Fragestellung: Subjektive Krankheitstheorien sind gedankliche Konstruktionen Kranker über Wesen, Ursache und Behandlung ihrer Erkrankung. Die Laientheorien sind Bestandteil des komplexen Prozesses der Krankheitsverarbeitung. Sie haben nicht nur Erklärungsfunktion, sondern dienen auch der Emotionsregulierung und Handlungsrechtfertigung. Die Krankheitskonzepte der Patientin beeinflussen ihre Einstellung zur Beeinflussbarkeit der Erkrankung und damit Vorbehalte und Erwartungen an die Behandlung. Die Diskrepanz zwischen den Erklärungstheorien des Arztes und der Patientin kann in Non-Compliance resultieren. Daten zu Laientheorien bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom liegen nur ungenügend vor. Material und Methode: Im Zeitraum von 10/2001 bis 02/2004 wurden 100 Patientinnen mit histologisch gesichertem Ovarialkarzinom mittels eines semi-strukturierten Interviews nach ihren Ursachenvorstellungen zur Krankheitsentstehung gefragt. Wir erfassten sowohl offen geäußerte Gründe als auch die subjektive Bedeutung vorgegebener Faktoren für die persönliche Krankheitsentstehung. Ergebnisse: Nur 4 % der Patientinnen gaben an, sich die Frage nach den Ursachen nie gestellt zu haben. Folgende Ursachen wurden von den Patientinnen angegeben: privater Stress 55 %, beruflicher Stress 36 %, Genetik 34 %, Hormone 29 %, Genitalinfektionen 20 %, Ernährung 19 %, Umweltverschmutzung 12 %, Nikotinkonsum 9 %. Spontan geäußerte Gründe waren beispielsweise „Radioaktivität“, „Misshandlung“, „Strafe“, „vergiftete Lebensmittel“, „Leistenoperation“, „Sturz“ und „Heimweh“. Schlussfolgerungen: Die meisten Patientinnen haben ein starkes Bedürfnis nach Klärung der Ätiologie ihrer Erkrankung und können über eigene Theorien berichten. Diese weichen oft von wissenschaftlichen Erkenntnissen ab. Subjektive Krankheitstheorien haben Einfluss auf Krankheitsbewältigung und Compliance. Ihre Kenntnis ermöglicht dem Arzt ein besseres Verständnis der bisherigen Lösungsversuche und Behandlungserwartungen. Sie sollten deshalb vom Arzt aktiv und frühzeitig nachgefragt und gegebenenfalls in die Therapieplanung einbezogen werden. Das kann einen entscheidenden Einfluss auf die Compliance und damit auf den Erfolg der Therapie haben.

Abstract

Purpose: Patients' or lay theories about the origin and nature of a disease are part of the complex of coping strategies. Lay theories can consist of etiologic considerations as well as beliefs about possibilities of influencing the disease. They can lead to expectations or result in reservations concerning a particular form of treatment. The discrepancy between the patient's and the doctor's causal attributions is considered to be one of the main causes of non-compliance. Material and Methods: Between October 2001 and February 2004 we carried out a questionnaire study in 100 patients suffering from ovarian cancer. By means of semi-structured interviews we investigated the patient's causal attributions concerning the genesis of her illness. We asked the patient to spontaneously give us a theory as well as to choose from pre-defined factors. Results: Only 4 % of the patients declared that they had never considered the question of the disease's cause. 96 % of the patients expressed lay theories with the following distribution: stress at home 55 %, stress at work 36 %, genetics 34 %, hormones 29 %, genital infections 20 %, nutrition 19 %, environmental pollution 12 %, nicotine 9 %. Spontaneously expressed theories were for example “radioactivity”, “mistreatment”, “punishment”, “poisoned food”, “surgery for inguinal hernia”, “falling”, and “homesickness”. Conclusions: The results show that the majority of patients have a great interest in clarifying the etiology of their illness. Lay theories can be complex and absolutely at variance with science. As lay theories have an impact on coping and compliance, and might influence treatment, doctors need to discuss these actively and as early as possible.

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PD Dr. med. J. Sehouli

Charité Campus Virchow-Klinikum

Augustenburger Platz 1

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eMail: jalid.sehouli@charite.de

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