B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2006; 22(5): 167
DOI: 10.1055/s-2006-942214
Editorial

© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

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Publication Date:
05 October 2006 (online)

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

während heute noch mit ca. 48 % ein Herz-Kreislaufversagen als Todesursache Nr. 1 in Deutschland angegeben wird, gehen Berechnungen dahin, dass diese in ca. 30 Jahren von Krebs überholt wird. Wichtiger erscheint mir allerdings der Umstand, dass das mittlere Sterbealter eines Herz-Kreislaufpatienten 5 Jahre über der durchschnittlichen Lebenserwartung liegt, bei Frauen also bei ca. 85 Jahren und bei Männern bei ca. 80 Jahren. Bei Krebspatienten liegt dieses bei ca. 75 und 70 Jahren, also 5 Jahre unter der durchschnittlichen Lebenserwartung! Wir haben es insgesamt - im Vergleich zu KHK-Patienten - mit jüngeren Patienten/Rehabilitanden zu tun. Das Durchschnittsalter der bisher fast ausschließlich weiblichen Teilnehmer unserer Krebsnachsorge-Sportgruppen liegt nun schon seit Jahren zwischen 58 und 60 Jahren. Es ist nichts davon zu merken, dass etwa immer jüngere Frauen nun schon von Brustkrebs betroffen wären. Die hierzu beweisende Statistik habe ich noch nicht gesehen.

Allerdings scheint es so zu sein, dass durch verbesserte diagnostische Verfahren Tumoren heute früher erkannt werden. Häufig wird dann daraus der Schluss gezogen, dass Krebspatienten auch länger überleben. Das ist aber leider ein Fehlschluss. Richtiger wäre zu sagen, dass die Überlebenszeit seit der Diagnose Krebs heute länger ist, weil man den Tumor bereits in einem früheren Stadium identifiziert.

Therapeutische Erfolge sind zwar fast auf der ganzen Linie festzustellen, trotz alledem überleben die ersten 5-10 Jahre lediglich ca. 50 % aller Tumorpatienten. Hier gibt es jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den mehr als 100 Tumorarten! So sind etwa die größten Erfolge bei den Tumoren im Kindesalter unter 15 Jahren festzustellen, wo die Überlebensraten von ca. 30 % auf 70 % in den letzten 30 Jahren gestiegen sind.

Dieser kleine Ausflug in die Krebsstatistik soll verdeutlichen, wo die Bewegungs- und Sporttherapie in diesem Gefüge ihren Platz haben könnte bzw. schon hat. Dabei stellen sich drei Fragen:

Kann das Auftreten von Krebs durch Bewegung verhindert oder minimiert werden (Prävention)? Kann bei vorhandenem bzw. therapiertem Krebs durch Bewegung die Lebensqualität verbessert werden (Lebensqualität)? Kann durch Bewegung der Krebs zurückgedrängt (Regression) bzw. die Überlebenszeit verlängert werden (Überlebenszeit)?

Zu allen drei Fragen liegen für definitive Aussagen bisher nicht genügend Untersuchungen vor und die Forschungslage ist uneinheitlich. Bewegung als kanzeroprotektiver Faktor ist inzwischen für einige Tumoren (Brust-, Darmkrebs) durch epidemiologische Studien recht gut belegt.

Zu Aussagen der Lebensqualität liegen inzwischen sicherlich die meisten Studien vor. Dieses entspricht ja auch dem ganzheitlichen Anspruch, den die Sporttherapie vertritt, nämlich mit Mitteln des Sports auf allen drei Ebenen der Lebensqualität (physisch, psychisch, sozial) wirksam zu werden, egal ob es sich um Patienten/Rehabilitanden mit orthopädischen, internistischen oder psychischen Erkrankungen handelt. Dieses war letztlich der Ansatzpunkt zur Gründung der ersten Krebsgruppen vor 25 Jahren!.

Am schwierigsten und bisher am wenigsten belegt sind Aussagen zur Überlebenszeit und Tumorregression. Hier besteht bisher noch der größte Forschungsbedarf. Spannend ist, dass zurzeit an vielen Ecken in Deutschland, und nicht nur dort, das Interesse an der Bewegung im Rahmen der Krebstherapie und -rehabilitation steigt (u. a. England, Norwegen, USA und Kanada).

Möge sich unser ganzheitlicher Ansatz der Sporttherapie durchsetzen und sich nicht nur die Krebsgruppen (bisher lediglich ca. 650 in Deutschland, weltweit aber einmalig!) verdoppeln, sondern Bewegung bereits in der Akutklinik für Tumorpatienten zur Anwendung gelangen.

Ihr Klaus Schüle

(2. Vorsitzender des DVGS e. V.)

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