Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2006; 3(2): 43
DOI: 10.1055/s-2006-949554
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gesundheitspolitik und Medizin: Ohne Kompromisse leiden die Patientinnen

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Publication Date:
29 August 2006 (online)

 

Prof. B. Thürlimann

Die Veränderungen in der Senologie in den letzten Jahre sind enorm. Sie betreffen das Patientenmanagement in Prävention, Diagnostik und Therapie sowie das Heraustreten des medizinischen Managements in die „Public Health"-Sphäre. Damit betreten Mediziner Neuland, gelten doch im Public Health-Bereich andere Regeln als in einer Klinik oder einer Praxis.

Im medizinischen Bereich hat sich vor allem die Rolle des operativen Managements der Axilla geändert. Die Sentinellymphknoten-Biopsie ist Standard und sollte flächendeckend implementiert werden. Leider ist das noch nicht der Fall. Die Sentinellymphknoten-Biopsie wird für Indikationen zunehmen, die heute noch als experimentell gelten (größere Tumoren, neoadjuvante Therapie usw.). In der Radioonkologie ist mit der erfolgreichen Evaluation der partiellen Brustbestrahlung und der Einmalbestrahlung für niedrige Risiken eine für die Patientinnen einfachere Therapie möglich. In der medizinischen Onkologie hat die Einführung von Trastuzumab in die adjuvante Behandlung einen enormen Fortschritt gebracht. Diese Verbesserungen gehen mit einer Zunahme der Komplexität und auch meist mit erhöhten Kosten einher. Diese Kosten fallen beim Leistungserbringer, der Gewinn hingegen hauptsächlich bei den Patientinnen an. Das gilt es gegenüber den Kostenträgern und Politikern immer wieder klar zu machen und zu verteidigen.

Noch mehr Veränderung ergeben sich mit der zunehmenden Bedeutung des Public Health-Aspekts. Aus Qualitäts- und Kostengründen erfolgt zunehmend eine Konzentration der Behandlung in Zentren, in denen spezialisiertes Wissen und Können vorhanden sind. Diese Zentren werden zertifiziert, wobei in unseren 3 Ländern verschiedene Wege beschritten werden. Während wir den Prozess der Konzentration in den Zentren kaum nachhaltig beeinflussen können, da er vorwiegend durch die Politiker und die Auswahl der Patientinnen gesteuert wird, haben wir Senologen genügend Einfluss, die Zertifizierung in die richtigen Bahnen zu lenken. Dabei muss das Interesse der Patientinnen im Vordergrund stehen, und Brustkrebszentren, respektive deren Zertifizierung, sollten hauptsächlich die Qualität im Auge behalten, auch wenn dadurch - zumindest zu Beginn der Entwicklung - höhere Kosten anfallen.

Ein dritter wichtiger Aspekt im gesundheitspolitischen Umfeld ist die Einführung der Screeningmammographie. In unserem Versorgungsgebiet (Kanton St. Gallen) hat das Parlament die Regierung beauftragt, ein flächendeckendes, populationsbezogenes Mammographiescreening einzuführen. Dabei wurde der Regierung vorgeschrieben, ein Projekt auszuarbeiten, das die Durchführung des Mammographiescreenings ausschließlich nach Qualitätskriterien ausschreiben darf. Außerdem wurde bestimmt, dass die Daten des Brustkrebs-Früherfassungsprogramms auch zur Forschung genutzt werden sollen. Damit St. Gallen das erste Versorgungsgebiet in der Deutschschweiz, welches ein solches Programm startet, nachdem in den letzten Jahren alle französischsprachigen Kantone ein solches Screeningprogramm beschlossen und teilweise bereits installiert haben. Eine erste Analyse im Kanton Waadt ergab, dass nach einigen Jahren das dortige Mammographiescreening-Programm sogar kostenneutral arbeiten kann. Dieser Aspekt ist bei der Einführung eines Früherkennungsprogramms politisch wichtig. Wir sollten diesen Aspekt nutzen, da die Behandlung des „nicht kleinen" Mammakarzinoms immer aufwändiger und teurer wird.

Beim Betreten der gesundheitspolitischen Bühne mussten wir lernen, dass wissenschaftliche Argumente bei der Durchsetzung politischer Anliegen nur einen relativ kleinen Stellenwert haben. Unsere Bemühungen, ein solches Programm zu initiieren, sind denn auch im ersten Anlauf gescheitert. Einige Jahre später haben die Bemühungen einer Parlamentarierin, die das politische Spiel kennt, schließlich zum Erfolg geführt. Dabei waren nicht in erster Linie wissenschaftlich-medizinische, sondern epidemiologisch-politische Gründe für den Erfolg ausschlaggebend. Die Veränderungen sind gegeben, und wir sind herausgefordert, die Veränderungen als Chance für eine Verbesserung der Betreuung unserer Patientinnen mitzugestalten.

Prof. Dr. B. Thürlimann

Senologie-Zentrum Ostschweiz St. Gallen, Schweiz

Email: beat.thuerlimann@kssg.ch

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