Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2006; 3(2): 54-56
DOI: 10.1055/s-2006-949559
Leserbriefe

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Leserbrief zu "Adjuvanter Einsatz von Trastuzumab beim primären Mammakarzinom"

s. Seite 65
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Publication Date:
29 August 2006 (online)

Leserbrief

Der Beitrag von Huober et al. zu den sozialmedizinischen Bewertungen des Kompetenz Centrums Onkologie, MDK Nordrhein (Zimmer, Heyll, 2005) erfordert einige Erläuterungen:

In der Prüfung von Einzelanträgen zur Leistungsgewährung der GKV für eine adjuvante Trastuzumab-Therapie bei Patientinnen mit HER2/neu-positiven Mammakarzinomen ist entscheidend, ob die vertraglich verfügbaren Behandlungsoptionen ausgeschöpft sind bzw. ob für die geplante Therapie im Einzelfall die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus prospektiv geprüften Phase-III-Studien bei gestelltem Zulassungsantrag "(...) eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen (...)“ (vgl. BSG-Urteil vom 19.03.2002; Az.: B1 KR 37/00). Das BSG fordert daher klar den gesicherten Nutzenbeleg (und nicht den Ausschluss einer Unwirksamkeit).

Erste Auswertungen der randomisierten NCCTG-N9831-Studie zeigten, dass nach einer sequenziellen Trastuzumab-Therapie nach Abschluss der adjuvanten Chemotherapie (AC) gefolgt von Paclitaxel ein krankheitsfreies Überleben zu beobachten ist, welches sich nichtsignifikant von dem der Patientinnen unterscheidet, die nur diese Chemotherapie erhalten hatten (Perez et al., 2005). Auch wenn es sich hier um frühe, nicht primär geplante, allerdings prospektiv erhobene Auswertungen handelt, sind diese dennoch für so bedeutend erachtet worden, dass sie auf dem Amerikanischen Krebskongress ASCO 2005 öffentlich gemacht wurden. Die vorliegenden Subgruppenauswertungen der HERA-Studie sind nicht Bestandteil der im Protokoll vorgesehenen "primary core analysis"; die Studie ist zur Prüfung ihres Zielkriteriums DFS (disease free survival) in den Behandlungsarmen nur statistisch auf das Gesamtkollektiv aller eingeschlossenen Patientinnen ausgerichtet ("gepowert"). Die Subgruppenanalysen sollen im Langzeitverlauf durch zusätzliche Auswertungen aufzeigen, ob die Wirksamkeitsergebnisse aufgrund von Subgruppeneigenschaften differieren. Die nichtsignifikanten Ergebnisse zur Subgruppe der Anthrazyklin-/Taxan-behandelten Patientinnen weichen zudem deutlich vom Ergebnis des Gesamtkollektivs ab. Im Zusammenhang mit den bis dato vorliegenden, prospektiv geprüften negativen Ergebnissen der NCCTG-N9831-Studie ist es daher derzeit unzutreffend, von einem prospektiv und abschließend gesicherten Beleg eines relevanten Nutzens der sequenziellen Antikörpertherapie bei Patientinnen nach (neo-) adjuvanter Anthrazyklin-/Taxan-Therapie auszugehen.

Huober et al. benutzen HR-Werte der HERA-Studienergebnisse ohne Signifikanz im Sinne gesichert nachgewiesener relevanter Effektgrößen der Antikörperbehandlung. Dieses ist weder für die Annahme der Risikoreduktion des Rezidives um 23% in der Subgruppe nach Anthrazyklinen/Taxanen (HR DFS 0,77; 95%-CI 0,53-1,13), noch für eine Aussage einer 24%igen Mortalitätssenkung für das Gesamtkollektiv infolge der Antikörpertherapie (HR 0,76; 95%-CI 0,47-1,23) im Vergleich zur Kontrolle sachgerecht.

Ist eine anthrazyklinhaltige (neo-) adjuvante Chemotherapie indiziert und möglich, ist gemäß der wissenschaftlichen Erkenntnislage, der Empfehlungen der S3-Leitlinie (06/2004) und der AGO (01/2005) eine Dreifachkombination (FEC/FAC) Standard. In beiden Leitlinien wird AC/EC nur im Hinblick auf eine Gleichwertigkeit zu CMF erwähnt. Bei Gabe einer AC/EC-Chemotherapie vor adjuvanter Antikörpertherapie sind daher die vertraglich verfügbaren, als Standard anerkannten Therapieoptionen für Patientinnen mit HER2/neu-positiven Mammakarzinomen nicht ausgeschöpft und die zweite Voraussetzung des BSG-Urteils vom 19.03.2002 nicht erfüllt.

Es kann medizinisch nicht begründet werden, eine mit Nebenwirkungen behaftete Arzneimitteltherapie außerhalb von klinischen Studienprüfungen zu empfehlen, wenn diese für die entsprechende Indikation nicht geprüft wurde. Dies trifft z.B. für eine adjuvante Trastuzumabtherapie nach dosisdichten/intensivierten Chemotherapien oder bei Patientinnen, die den Ausschlusskriterien der Studien unterliegen, zu.

Die von Huober et al. aufgeworfene Frage nach der optimalen adjuvanten Antikörpertherapiedauer ist derzeit unbeantwortet. Sie ist im Kontext mit den Ergebnissen der FinHer-Studie (Joenssuu et al., 2006) kritisch zu diskutieren bzw. durch weitere Studienprüfungen zu sichern.

Abschließend sollte deutlich werden, dass für eine sozialmedizinische Bewertung der adjuvanten Trastuzumabtherapie als "off-label-use" die detaillierten Anforderungen des BSG-Urteils bindend sind. Sie erfordern eine sorgfältige Prüfung der medizinischen und sozialrechtlichen Voraussetzungen im jeweiligen Einzelfall.

Dr. med. Barbara Zimmer MPH

Prof. Dr. med. Axel Heyll

Kompetenz Centrum Onkologie MDK Nordrhein, Düsseldorf

Email: info@kconkologie.de

Literatur

  • 05 Perez E . Suman VJ . Davidson N . Martino S . Kaufmann P . NCCTG update ASCO, Scientific session, Mai 16, 2005. 
  • 06 Huober J . Jackisch C . Untch M . Möbus V . Wallwiener D . Kaufmann M . von Minkwitz G . Adjuvanter Einsatz von Trastuzumab (Herceptin) beim primären Mammakarzinom - aktuelle Datenlage und Bewertung der Stellungnahme des Kompetenz Centrums Onkologie des MDK NordrheinZentralblatt.  Gynäkol. 2006;  128 30-37
  • 07 Romond EH . Perez EA . Bryant J . et al . Trastuzumab plus adjuvant chemotherapy for Operable Her-2 Positive Breast Cancer.  N Engl J Med. 2005;  353 1673-1684
  • 08 Piccart-Gebhart M . Procter M . Leyland-Jones B . et al . Trastuzumab after adjuvant chemotherapy in HER2 positive breast cancer.  N Engl J Med. 2005;  253 1659-1672
  • 09 Goldhirsch A . Glick JH . Gelber RD . et al . Meeting highlights: international expert consensus on the primary therapy of early breast cancer.  Ann Oncol. 2005;  16 1569-1583
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