Die Geburtseinleitung ist eine der häufigsten ärztlich indizierten Maßnahmen (12–25%
aller Geburten); Sie verlangt vom Geburtshelfer Verantwortungsbewusstsein und Erfahrung,
aber auch die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes der Schwangeren im Hinblick
auf eine Geburtseinleitung und die Wahl des Entbindungsmodus. Entsprechend der Diskussion
um den Kaiserschnitt auf Verlangen und entgegen traditioneller Auffassung ist die
Geburtseinleitung heute keine rein medizinisch begründete Entscheidung des Arztes,
sondern zunehmend durch das Mitspracherecht der Schwangeren geprägt, wodurch die Renaissance
der „programmierten Geburt“ mit umgekehrten Vorzeichen möglich geworden ist.
Dieses ist erkennbar an der steigenden Zahl sogenannter „gemischter“ Indikationen
zur Geburtseinleitung, bei denen individuelle und persönliche Belange der Schwangeren
eine Rolle spielen.
Die Zunahme der Geburtseinleitungen in den letzten 10 Jahren spiegelt aber auch einen
anderen Paradigmenwechsel in der heutigen Geburtshilfe wider. Während sich die traditionelle
Schwangerenvorsorge in der geburtshilflichen Entscheidung an aktuellen Krankheitssymptomen
und Schwangerschaftskomplikationen orientierte und darauf reagierte, steht heute die
möglichst frühzeitige Erfassung von Risikofaktoren und das Antizipieren potentieller
Schwangerschaftskomplikationen im Vordergrund (Unterscheidung zwischen high-risk und
low-risk). Die Konsequenz ist nicht nur eine individualisierte und risikoadaptierte
Überwachung der Schwangerschaft, sondern auch die frühzeitige Planung der Schwangerschaftsbeendigung,
sei es durch Geburtseinleitung oder durch elektive Sectio caesarea. Dabei muss der
Geburtshelfer auch berücksichtigen, dass eine langdauernde und frustrane Geburtseinleitung
mit Wehentätigkeit über viele Stunden, die dann aber doch in einer eiligen Sectio
endet, die psychisch und physisch belastendste und komplikationsreichste Variante
jeder Geburt darstellt. Entgegen früheren Bestrebungen, bei protrahiertem Geburtsverlauf
und Erschöpfung der Mutter das Ziel der vaginalen Geburt weiter zu verfolgen, wird
der Geburtshelfer heute dem Verlangen der Schwangeren nach einer sekundären Sectio
eher großzügig nachgeben, sei es aus Sorgen vor medicolegalen Konsequenzen, sei es
aus Gründen der Patientinnenzufriedenheit.
Dem Verlangen der Schwangeren nachzugeben und Patientinnenzufriedenheit zu erreichen
scheint heute mehr denn je zu einem nicht immer „freiwilligen“ Handlungsdruck des
Geburtshelfers zu werden; In einer Zeit, die geprägt ist von einer höchst kompetitiven
Geburtshilfe mit maximaler Akquisite von Schwangeren einerseits und knappen finanziellen
Ressourcen andererseits wird damit seine „Therapiefreiheit“ zu einem Spannungsfeld
zwischen dem medizinisch Notwendigen und von der Schwangeren Akzeptierten, in Konsequenz
kann dies zu einem „Verlust“ von Schwangeren / Geburten und damit negativen ökonomischen
Folgen führen.
Die Geburtseinleitung erfordert daher eine individuelle Risiko-Nutzen-Analyse, die
neben dem Schweregrad und der Dynamik des Krankheitsverlaufes sowie der uteroplazentaren
Leistungsreserve auch die einleitungsspezifischen Probleme und die iatrogene Pathologie
durch medikamentös induzierte uterine Überstimulierungen und konkomittierende Herztondezelerationen
sowie den Einleitungserfolg und die Compliance der Schwangeren zu berücksichtigen
hat. Dabei ist indikationsbezogen immer kritisch zu prüfen, ob nicht die Schwangerschaftsbeendigung
durch Sectio caesarea der oft hinsichtlich des Erfolges schwer abschätzbaren und langdauernden
Geburtseinleitung vorzuziehen ist oder von der Schwangeren vorgezogen wird.
In diese schwierige Entscheidung sind nicht zuletzt auf die jeweilige Situation /
Indikation bezogene gesicherte Erkenntnisse aus der Literatur im Sinne der evidence-based
medicine mit einzubeziehen, zumal die Schwangere heute i. a. über Internet und Medien
gut über Ihre Situation informiert ist, der Geburtshelfer also durch Fakten überzeugen
muss!
Daher ist er gut beraten, zu den häufigsten Indikationen der Geburtseinleitung wie
Terminüberschreitung, vorzeitiger Blasensprung, hypertensive Schwangerschaftserkrankungen,
Diabetes und fetale Makrosomie, IUGR usw. die aktuellen Ergebnisse aus der Literatur
zu kennen, um das Für und Wider der Geburtseinleitung einschließlich der Risiken mit
der Patientin (und ihrem Partner) ausführlich vor der Einleitung zu besprechen und
dieses Gespräch auch zu protokollieren.
Nicht zuletzt besteht für den Geburtshelfer im klinischen Alltag oft ein nicht unerhebliches
paramedizinisches Spannungsfeld, einerseits verursacht durch die steigende Ungeduld
der Schwangeren und ihres Partners, vor allem bei belästigenden Beschwerden, oder
geprägt durch die vom Arzt nicht zu kompensierende Angst vor einer Schädigung des
Kindes bei dessen Verbleiben in utero, andererseits hervorgerufen durch seine Sorge
um eine eventuelle Gefährdung des Kindes und möglicher medicolegaler Konsequenzen
im Schadensfall. In diesem Zusammenhang ist unübersehbar, dass unterlassene, fehlindizierte,
verspätete oder mit Komplikationen behaftete Geburtseinleitungen in jüngster Zeit
zunehmend zu medicolegalen Auseinandersetzungen geführt haben.
Dies betrifft auch die medikamentöse Geburtseinleitung bei Zustand nach Sectio, die
durch jüngste Publikationen über eine erhöhte Rate an Uterusrupturen nach Anwendung
von Prostaglandin E2 in den Fokus des Interesses gerückt ist, nachdem über viele Jahre lokale Prostaglandine
erfolgreich zur Geburtseinleitung eingesetzt wurden. Entsprechend den Empfehlungen
der ACOG 2002 erfordert diese Situation daher ein ausführliches Beratungsgespräch
mit der Schwangeren über das erhöhte Rupturrisiko und eine streng definierte medizinische
Indikation zur Geburtseinleitung.
Durch die von namhaften Protagonisten der Geburtshilfe propagierte Auffassung, der
Schwangeren als Alternative eine Re-Sectio anzubieten, erlebt das Anfang der 20er
Jahre von dem Amerikaner Cragin (1916) aufgestellte Postulat „once a cesarean, allways
a cesarean“, das noch bis vor kurzem im Rahmen von „Sectiosparprogrammen“ als überholt
galt, eine nicht geahnte Renaissance, auch wenn die Erfolgsraten (vaginale Geburt)
einer Geburtseinleitung nach vorangegangener Sectio bei im Mittel 75% liegen.
Keineswegs konfliktärmer, aber emotionaler war bis vor kurzem die Diskussion um die
Methoden zur Geburtseinleitung, die vor allem den off-label-use des weltweit erfolgreich
(und billigeren) zur Geburtseinleitung eingesetzten PGE1-Analogons Misoprostol (Cytotec®) betraf. Das „Problem Misoprostol“ hat als pars pro
toto für andere Anwendungen (z.B. Nifedipin) in besonderer Weise Geburtshelfer mit
dem Dilemma zwischen arzneimittelrechtlichen Konsequenzen (im Schadensfall) und der
Therapiefreiheit des Arztes konfrontiert, ein Problem, das sich auch die Arbeitsgemeinschaft
Medizinrecht daraufhin angenommen hat. Die Herstellerfirma von Misoprostol hat die
Diskussion abrupt dadurch zu beenden versucht, indem sie seit 01.01.2006 das Präparat
in Deutschland nicht mehr vertreibt. Für Beschaffer aus Auslandsapotheken sei diesbezüglich
der § 73 des Arzneimittelgesetzes zur Lektüre empfohlen.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Geburtseinleitung zwar eine der häufigsten
ärztlichen Entscheidungen in der Geburtshilfe ist, aber auch eine komplexe und individuelle
zwischen medizinischer Notwendigkeit, klinischen Empfehlungen und Leitlinien unter
Berücksichtigung der evidence based medicine, dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren
vor allem bei elektiver Geburtseinleitung und schließlich zulassungsbedingten und
arzneimittelrechtlich relevanten Anwendungsbestimmungen.