Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(40): 2207
DOI: 10.1055/s-2006-951352
Editorial

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Diabetes-Screening: Ja, aber wie?

Screening for diabetes: Yes! But how?H. Hauner1
  • 1Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München
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Publication Date:
04 October 2006 (online)

Der Typ-2-Diabetes-mellitus ist aufgrund seiner zunehmenden Verbreitung und hohen Kosten eine der zentralen Herausforderungen für das deutsche Gesundheitssystem [2] [4]. Nach einer kürzlichen Kostenanalyse bei Versicherten der AOK Hessen betragen die Exzesskosten für diese Erkrankung mindestens 23 Mrd. EUR jährlich [4]. Der Löwenanteil dieser Ausgaben wird durch die weitgehend vermeidbaren Komplikationen verursacht. Bedenkt man, dass zwischen dem Beginn der Erkrankung und der endgültigen Diagnosestellung bzw. dem Therapiebeginn oft viele Jahre liegen, in denen die Grundlage für die hohe Krankheitslast der Betroffenen gelegt wird, wird klar, welcher Stellenwert einer rechtzeitigen Erkennung zukommen müsste.

Das Thema Früherkennung und Screening des Typ-2-Diabetes ist aber bislang kein Ruhmesblatt für das Gesundheitssystem. Seit vielen Jahren gibt es im Rahmen der Regelversorgung eine spezifische Präventionsziffer, die es dem Hausarzt ermöglicht, bei Versicherten ab 45 Jahren den Nüchternblutzucker ohne Budgetierung zu messen. Diese Möglichkeit wird aber nur bei 10 bis 20 % der Berechtigten genutzt (unveröffentlichte Daten). Damit bleibt die Diagnosestellung in den meisten Fällen ein Zufall. Welche Alternativen stehen für eine verbesserte Früherkennung des Typ-2-Diabetes zur Verfügung?

Die Publikation von Scherbaum et al. in diesem Heft hat kritisch überprüft, welchen Nutzen ein spezifischer Risikofragebogen, der auf dem heutigen Wissen über Risikofaktoren für diese Erkrankung basiert, im Rahmen einer Früherkennungsaktion haben könnte [7]. Als Vorteile werden u. a. günstige Kosten und Niedrigschwelligkeit genannt [5]. Zur Wirksamkeit solcher Fragebögen für die Früherkennung des Typ-2-Diabetes existiert bislang eine dänische Studie, die nur eine enttäuschend niedrige Kosteneffektivität ergab [1]. Scherbaum et al. versandten einen selbstentwickelten Risikofragebogen an 58 254 Versicherte der Techniker-Krankenkasse im Alter ab 55 Jahren, einer Bevölkerungsgruppe mit einer hohen Dunkelziffer für Typ-2-Diabetes und gestörte Glukosetoleranz [6]. Positiv überraschte dabei zunächst die hohe Rücklaufquote von 36,4 %, die möglicherweise durch die gezielte Ansprache und durch den vergleichsweise hohen Sozialstatus der Versicherten der TKK erklärbar ist. Der Bitte nach Durchführung eines Blutglukose- oder eines oralen Glukosetoleranztests (OGTT) beim Hausarzt kamen allerdings nur noch 4314 Personen, somit 7,8 % der initial kontaktierten Versicherten nach. Bei 192 dieser Teilnehmer waren die Diagnosekriterien erfüllt. Allerdings wusste bereits die Mehrheit dieser Personen von ihrem Diabetes, sodass die Zahl der tatsächlich neuentdeckten Patienten deutlich niedriger lag. Sensitivität und Spezifität der Blutglukoseuntersuchungen konnten nicht erfasst werden [7].

Ein weiteres wichtiges Resultat dieser Studie war, dass die Ergebnisse des Risikofragebogens, hier ermittelt am Fragebogen von Lindström et al. [5], nur einen niedrigen Voraussagewert für das Vorliegen eines Diabetes hatten. Damit sind Zweifel an der Wertigkeit solcher Fragebögen in der Praxis angezeigt, vor allem wenn man die hohen Kosten für diese Aktion bedenkt.

Diese Studie unterstreicht somit erneut das Dilemma der aktuellen Möglichkeiten zur Früherkennung des Typ-2-Diabetes. Die bisherigen Instrumente reichen offenkundig nicht aus, zumal die Aufmerksamkeit für diese weiterhin unterschätzte Krankheit niedrig ist. Um die Früherkennung substanziell zu verbessern, könnten neue finanzielle Anreize für Versicherte, Erinnerungssysteme für den Hausarzt, aber auch spezifische Vorsorgevereinbarungen wie z. B. die Kombination von OGTT und Herzkatheteruntersuchung helfen. Die Hausärzte müssen hier ihrer Schlüsselrolle besser gerecht werden. Sie betreuen die große Mehrzahl der Bevölkerung und sollten aus Kenntnis der familiären Situation heraus das individuelle Risiko gut abschätzen können. Eine verbesserte Früherkennungsstrategie hätte auch den Vorteil, dass viele „Prädiabetiker” erkannt werden, wie auch diese Studie zeigt. Damit bestünden gute Chancen für eine erfolgreiche Prävention. Der Nutzen gezielter Präventionsmaßnahmen ist gerade für den Typ-2-Diabetes sehr gut belegt [3].

Literatur

  • 1 Christensen J O, Sandbaek A, Lauritzen T et al. Population-based stepwise screening for undiagnosed type 2 diabetes is ineffective in general practice despite reliable algorhythms.  Diabetologia. 2004;  47 1566-1573
  • 2 Hauner H, Köster I, von Ferber L. Prävalenz des Diabetes mellitus in Deutschland 1998 - 2001.  Dtsch Med Wochenschr. 2003;  128 2632-2637
  • 3 Hauner H, Landgraf R, Schulze J, Spranger J, Standl E. für das Nationale Aktionsforum Diabetes mellitus . Prävention des Typ-2-Diabetes mellitus.  Dtsch Med Wochenschr. 2005;  130 1053-1054
  • 4 Köster I, von Ferber L, Ihle P. et al . The cost burden of diabetes mellitus: the evidence from Germany - the CoDiM Study.  Diabetologia. 2006;  49 1498-1504
  • 5 Lindström J, Tuomilehto J. The diabetes risk score: a practical tool to predict type 2 diabetes risk.  Diabetes Care. 2003;  26 725-731
  • 6 Rathmann W, Haastert B, Icks A. et al . High prevalence of undiagnosed diabetes mellitus in Southern Germany.  Diabetologia. 2003;  46 182-189
  • 7 Scherbaum W A, Dicken H -D, Verheyen F, Baehring T. Nachweis eines bisher unerkannten Diabetes mellitus Typ 2 mittels Risikofragebogen.  Dtsch Med Wochenschr. 2006;  131 2208-2212

Prof. Dr. med. Hans Hauner

Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin der TU München, Klinikum rechts der Isar

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