Palliativmedizin ist primär kein gesonderter, gegenständlicher „Bereich“, auch keine
klar abgrenzbare „Disziplin“, sondern eine Art „Verhalten“, das in bestimmten, aber
schwer bestimmbaren Situationen angemesssen ist. Deshalb ist sie auch nicht im Sinne
eines Gegenstandes identifizierbar. Zur Palliativmedizin muss man sich entscheiden
– am stärksten dort, wo die andere Seite des Spektrums zuhause ist, die intensive
Medizin. Vor jeglicher palliativmedizinischer Behandlung steht logisch wie zeitlich
eine Entscheidung. Diese Entscheidung ist einer besonderen wissenschaftlichen und
philosophischen Aufmerksamkeit wert, die ihr im deutschsprachigen Diskurs bislang
nicht gegeben wird. Jedes Lehr- und Handbuch für „Palliative Care“ müsste mit einem
Kapitel zur palliativen Entscheidung und Indikation beginnen. Auch „Grenzsituationen“
(K. Jaspers) sind nicht einfach objektiv vorfindbar, sondern sie müssen identifiziert
werden. Sie sind nicht objektiv bestimmbar wie ein Gegenstand, sondern ergeben sich
aus Beurteilungen, die vom Zustand und den Vorstellungen des Patienten einerseits
und von Behandlungsmöglichkeiten und Ressourcen andererseits abhängig sind und oft
erst diskursiv ermittelt werden können. Entscheidungshilfen sollen dazu dienen, Grenzsituationen
zu identifizieren, Indikationen für Palliation abzusichern um schließlich eine „gute“
Wahl zu treffen für am besten auf Situation und Bedürfnisse des Patienten abgestimmte
Maßnahmen. Sie können auf verschiedenen Ebenen ansetzen: Als Qualifikation für Indikationen
und Entscheidungen können sie von jenen, die die Behandlungsprozesse unmittelbar steuern,
gelernt werden. Dazu müssen geeignete Begriffe (Kategorien) und Denkformen (Paradigmata)
bereitgestellt werden, und zwar empirisch/analytischer und moralisch/ethischer Herkunft.
Dies ist eine Aufgabe der Wissenschaft und der Ethik. Hinzu kommen die kritische Selbstreflexion
als eine Qualifikation der Persönlichkeit, die durch psychotherapeutische und wiederum
philosophische Mühe entwickelt werden kann sowie die Fähigkeit und Bereitschaft zur
Abstimmung der Entscheidung in Teams. Schließlich ist die Ebene der Institution/Organisation
und damit des Managements von zunehmender Bedeutung. Prozesse der Entscheidungsfindung
und -begründung lassen sich in gewissen Grenzen institutionell abstützen bzw. bahnen,
indem Entscheidungen zum bewussten Thema gemacht werden. In diesem Kontext hat die
Organisationsethik (Organizational Ethics) ihren Ort. Palliativmedizin kann Teil einer
„Unternehmensmarke“ und eines „Unternehmensportfolios“ sein. Dann realisiert sie eine
„qualitätsgesicherte Kundenorientierung“.