Zeitschrift für Palliativmedizin 2006; 7 - A14
DOI: 10.1055/s-2006-959149

Ärztliches Handeln und Unterlassen am Lebensende – rechtliche Aspekte

K Schmoller 1
  • 1Rechtswissenschaftliche Fakultät, Strafrecht und Strafverfahrensrecht, Salzburg, Österreich

1. Behandlungsziele. Die Aufgabe des Arztes umfasst grundsätzlich drei Zielrichtungen: Heilung, Verbesserung des gegenwärtigen Befindens (auch dort, wo Heilung oder Lebensverlängerung nicht mehr möglich ist), Lebenserhaltung (auch dort, wo Heilung oder eine Verbesserung des gegenwärtigen Befindens nicht mehr möglich ist). Hat ein Arzt (privat oder institutionell) die Behandlung eines Patienten übernommen, ist er rechtlich zur Verfolgung dieser Ziele verpflichtet. I. d. R. sind die drei Ziele kombiniert zu verfolgen, es löst aber auch jedes Ziel für sich eine Pflicht aus. Sind weder Heilung noch Lebensverlängerung möglich, besteht deshalb eine rechtliche Pflicht zumindest zur Palliativ- bzw. Schmerzbehandlung. Erfolgt diese unzureichend, droht u. U. eine Haftung wegen Körperverletzung bzw. Gesundheitsschädigung durch Unterlassen.

2. Zustimmung des Patienten. Jede ärztliche Behandlung bedarf einer Einwilligung des Patienten. Behandelt ein Arzt gegen den Willen, unterlässt er es, eine Entscheidung des Patienten einzuholen oder unterlässt er die diesbezüglich erforderliche Aufklärung, kommt eine Strafbarkeit wegen eigenmächtiger Behandlung nach § 110 StGB in Betracht. Eine aktuelle Behandlungsverweigerung des – entscheidungsfähigen – Patienten ist selbst bei einer lebensnotwendigen Behandlung verbindlich. Bei entscheidungsunfähigen (psychisch kranken oder bewusstlosen) Patienten ist zunächst zu prüfen, ob der Patient früher, als er noch entscheidungsfähig war, eine Vorausverfügung getroffen hat. Nach dem neuen Patientenverfügungs-Gesetz 2006 ist eine im Voraus getroffene Behandlungsablehnung verbindlich, wenn sie sich auf konkrete medizinische Behandlungen bezieht, eine umfassende ärztliche Aufklärung vorausgegangen ist und die Verfügung vor einem Rechtsanwalt, Notar oder rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretungen nach rechtlicher Belehrung errichtet worden ist; die Verbindlichkeit währt 5 Jahre. Liegt keine verbindliche Patientenverfügung vor, kommt es auf die Entscheidung eines rechtlichen Vertreters an. Diesbezüglich schafft das Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006 ab 1.7.2007 die Möglichkeit, dass der Patient im Vorhinein einen rechtlichen Vertreter bestimmt, der anschließend die Entscheidung über eine Behandlung trifft (Vorsorgevollmacht). Erforderlich ist auch hier die Errichtung der Vollmacht vor einem Rechtsanwalt, einem Notar oder bei Gericht nach rechtlicher Belehrung (§ 284f Abs. 3 ABGB). Nur wenn keine Patientenverfügung getroffen und keine Vorsorgevollmacht erteilt wurde, ist ein Sachwalter zu bestellen, der unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Patientenwillens entscheidet; allenfalls ist eine gerichtliche Zustimmung erforderlich.

Nur wenn eine Behandlung dringend notwendig ist, dem Arzt keine Entscheidung des Patienten vorliegt und keine Zeit bleibt, eine solche einzuholen oder nach dieser zu forschen, ist eine Behandlung ausnahmsweise ohne Zustimmung erlaubt.

3. Zielkonflikte. Es gibt Ausnahmefälle, in denen ein ärztliches Ziel nur auf Kosten eines anderen Ziels verfolgt werden kann. In solchen Fällen ist eine Abwägung erforderlich. Die Beeinträchtigung eines Ziels kann hingenommen werden, wenn dies zur Verfolgung eines anderen Ziels im überwiegenden Interesse des Patienten liegt. Falls deshalb eine Schmerzbehandlung nur um den Preis einer geringfügigen Lebensverkürzung möglich sein sollte, ist die Schmerzbehandlung erlaubt, wenn der Vorteil für den Patienten den Nachteil überwiegt. Es gilt insofern dasselbe wie z.B. bei einer auf Heilung ausgerichteten lebensgefährlichen Operation, bei der aufgrund überwiegenden Interesses die Lebensgefahr hingenommen wird. Umgekehrt kann z.B. eine auf Lebensverlängerung gerichtete Behandlung dann unterbleiben, wenn die Behandlung selbst Belastungen für den Patienten mit sich brächte, die die erreichbare Lebensverlängerung überwiegen.

4. „Euthanasie“. Von den Fällen eines Zielkonflikts ist die Frage zu unterscheiden, ob ein bevorstehendes unabwendbares schweres Leiden eines Patienten für sich ein Grund sein kann, auf eine mögliche Lebensverlängerung zu verzichten. Nach herrschender Meinung endet die Pflicht des Arztes – sofern keine Behandlungsablehnung vorliegt – erst dann, wenn nur mehr eine kurzfristige Lebensverlängerung in Betracht kommt und diese gesamte Zeitspanne durch ein unabwendbares schweres Leiden gekennzeichnet wäre. Demgegenüber ist die Setzung einer zusätzlichen Todesursache (mit der keines der drei ärztlichen Ziele verfolgt wird) auch bei schwer leidenden Patienten und auch auf deren Wunsch hin nach wie vor verboten und sogar strafbar. Eine Legitimation für den Eingriff lässt sich aus den ärztlichen Zielen nicht ableiten. Gleiches gilt (jedenfalls in Österreich) für eine Mitwirkung am Selbstmord des Patienten. Das Abschalten medizinischer Geräte ist, auch wenn es durch eine aktive Handlung geschieht, inhaltlich als ein Unterlassen der Weiterbehandlung, nicht als das Setzen einer zusätzlichen Todesursache zu bewerten. Deshalb muss die Behandlung mittels medizinischer Geräte jedenfalls beendet werden, wenn eine wirksame Behandlungsablehnung (aktuell, durch Patientenverfügung, durch Vorsorgevollmacht etc) vorliegt. Bei nur geringfügig möglicher Lebensverlängerung eines schwer leidenden Patienten müssen medizinische Geräte nicht bis zuletzt zum Einsatz kommen. Weiterhin nicht endgültig geklärt ist die Frage, wie weit die rechtliche Pflicht reicht, irreversibel bewusstlose Patienten (Wachkoma) künstlich am Leben zu erhalten.