Fortschr Neurol Psychiatr 1984; 52(2): 35-40
DOI: 10.1055/s-2007-1001999
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Unwahrheit und Täuschung, Grunddimensionen menschlicher Existenz: zum Problem des Unbewußten*

Untruth and Self-Deception as fundamental Dimensions of Human Existence: The Problem of the UnconsciousKarl-Ernst  Bühler
  • Aus dem Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Universität Würzburg
* Überarbeiteter Vortrag auf dem 15. Int. Kongreß für Individualpsychologie in Wien am 2. August 1982.
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Publication Date:
10 January 2008 (online)

Abstract

The models of Freud on unconsciousness lead to logical contradictions or to a fragmentation of the person if the causal energetic view of mental organization is abandoned in favour of a metaphorical interpretation of Freud's concept. On the other hand, the person is eliminated in such an causel energetic model.

Existential psychotherapies refer to Heidegger who claims that consciousness is not completely self-transparent and may conceal itself by forgetting and remembering in correspondence with the interests of the person.

Self-concealment of consciousness as a source of unconsciousness is a process of disintegration of sense. Therefore, the therapy should lead the patient to discover his potentialities, to enable him to recognize untruth and self-deception as contradictions to these potentialities. Untruth and self-deception are - as Nietzsche has already shown - di -mensions of the unconsciousness.

Zusammenfassung

Die Modelle Freuds über das Unbewußte führen, sofern sie nicht konsequent energiedynamisch vorgestellt werden, in eine Fragmentation der Person in ,,Zensor" und ,,Zu-Zensierender". Andererseits kann die Person und ihr Erleben nicht nach energetischen Vorstellungen in den Blick gebracht werden. Daseinsanalytisch und anthropologisch orientierte Schulen rezipierten in unterschiedlichem Maße Heidegger. der die formale Struktur eines vergegenständlichenden, spielraumartigen Selbstbewußtseins entwickelte, das sich im Interesse für sich selbst eröffnen, aber auch verschließen, ,,verfallen" (Verdeckungstendenz} kann. Das Verfallen ist das Interesse, das eigene Sein als Möglichkeit nicht zu sehen, bzw. es nicht anders sehen zu wollen, wie es gerade ist. Unterschiedliche Klarheitsgrade, unterschiedlicher Umfang und Struktur (Perspektive/Aperspektive) bedingen eine immer wieder erneut stattfindende Organisation von Erfahrungen entsprechend Interessen, worin die Ausrichtung von Erinnern und Vergessen auf die Zukunft erkennbar wird.

Die Struktur des ,,Verfallens" (bzw. Verdeckens), die unbewußten Phänomenen zu Grunde liegt, vollzieht sich in der Auflösung von Sinnzusamnrwnhängen, indem der nun erscheinende Kontext die ursprüngliche Situation verdeckt, vergleichbar einem Vexierbild, das Bedeutsames in Gewöhnlichem versteckt. Die Behandlung sollte daher nicht einschränkend und enthaltend sein, sondern muß gerade den Patienten in die Offenheit und Vielfalt seiner Möglichkeiten führen, denn nur so kann dieser an Bruchstellen und Widersprüchen in seinen tatsächlichen gegenüber den vermeintlichen Bezügen Unwahrhaftigkeit und Täuschung erkennen.

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