Dtsch Med Wochenschr 2007; 132(9): 413
DOI: 10.1055/s-2007-970349
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Telemedizin - Brücke und Netzwerk

Telemedicine - bridge and networkF. Köhler1 , M. Middeke2
  • 1Medizinische Klinik Schwerpunkt Kardiologie, Angiologie, Charité - Universitätsmedizin Berlin
  • 2Blutdruckinstitut München
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Publication Date:
21 February 2007 (online)

Telemedizin ist derzeit in Deutschland en vogue. Ein Blick in den Kongresskalender 2007 zeigt mehrere erstmals stattfindende Telemedizin- und ehealth-Kongresse, und auch in der Publikumspresse finden sich in jüngerer Zeit überproportional viele Beiträge zu diesem Thema. Ist das telemedizinische Interesse nur eine kurze Modeerscheinung, oder stehen wir durch die neuen Möglichkeiten der Informationstechnologie am Anfang einer großen Entwicklung?

In Deutschland hat Telemedizin eine lange Tradition: Vor 75 Jahren wurde in Cuxhaven durch die Reichspost „Der funkmedizinische Dienst” eingerichtet. Bis heute - mittlerweile mit neuester satellitengesteuerter Kommunikationstechnik ausgestattet - stellen Cuxhavener Ärzte telemedizinisch Diagnosen und geben Therapieempfehlungen, die manchen Seeleuten das Leben retteten (s. S. 461 in diesem Schwerpunktheft).

Aus zwei wesentlichen Gründen bekommt die Telemedizin mehr und mehr festen Boden unter die Füße:

Es gibt einen wachsenden medizinischen Bedarf. Telemedizinische Technologien werden immer leistungsfähiger und preiswerter.

Die chronische Herzinsuffizienz ist hierfür ein sehr gutes Beispiel. Erste Studien, mehrheitlich aus dem Ausland, zeigen, dass durch die telemedizinische Früherkennung einer beginnenden kardialen Dekompensation die Sterblichkeit und die Rehospitalisierung gesenkt werden. Eine lebensbegrenzende chronische Erkrankung überwiegend ambulant betreuen zu können, ist ein gemeinsames Interesse von Patienten, behandelnden Ärzten und Kostenträgern. Es ist deshalb nur konsequent, dass fast alle deutschen Telemedizinprojekte im Bereich Herzinsuffizienz von Kostenträgern unterstützt werden, in der Erwartung, die hohen Kosten zu senken, die insbesondere durch die häufige Rehospitalisierung („Drehtüreffekt”) entstehen. Die in diesem Heft veröffentlichte erste kontrollierte Studie in Deutschland zeigt, dass dies tatsächlich gelingen kann (s. S. 417).

Die Chancen der Telemedizin sind dank der rasanten Entwicklung bei den Informationstechnologien immer weniger technisch limitiert. Mit einer identischen Anzahl von Einwohnern und Mobiltelefonen in Deutschland ist es deshalb sinnvoll, Telemedizinanwendungen auch für das Handy zu entwickeln, wie ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördertes Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Partnership for the Heart” zeigt (s. S. 458). Als weiterer Entwicklungstrend zeichnet sich der Weg hin zu Endgeräteplattformen an, die nach dem Baukastenprinzip vom betreuenden Arzt für verschiedene Indikationen (chronische Herzinsuffizienz, Monitoring von Risikoschwangerschaften [s. S 437], Gewichtskontrolle bei Dialysepatienten [s. S. 423]) eingesetzt werden können.

Wie jede Innovation in der Medizin müssen sich telemedizinische Anwendungen Effektivitätsprüfungen stellen. Diesen Weg von der technischen Innovation über den wissenschaftlichen Nachweis der Überlegenheit gegenüber der konventionellen Versorgung im Rahmen einer kontrollierten Studie bis zur Überführung in die Regelversorgung hat das Tempis-Projekt (s. S. 431) zur Verbesserung der Versorgung von Patienten mit Schlaganfall eindruckvoll absolviert.

Die rasante Entwicklung des technisch Möglichen benötigt rechtliche Rahmenbedingungen, um sicherstellen, dass auch bei einer räumlichen Trennung zwischen Arzt und Patienten die gleichen Grundsätze wie in der Präsenzmedizin gelten (s. S. 453).

Eine Besonderheit der Telemedizin ist die Diskrepanz zwischen einer hohen Akzeptanz bei Patienten und einer vergleichsweise großen Skepsis bei Ärzten. In der Hoffnung auf dieses Patientenvertrauen wird der Einfluss der Telemedizin auf die Lebensqualität der Patienten zwar häufig im Marketing von Telemedizinherstellern angeführt; tatsächlich stehen die wissenschaftlichen Untersuchungen erst am Anfang (s. S. 442).

Die ärztlichen Sorgen insbesondere im ambulanten Sektor, durch „Internet-Doktoren” ersetzt zu werden, sind unbegründet. Telemedizin wird kein eigenes medizinisches Fach, sondern kann nur ein sehr nützliches Werkzeug innerhalb der klassischen Fächer sein, das den direkten Kontakt zwischen Arzt und Patient und zwischen Kollegen nicht ersetzt, sondern ergänzt.

So kann Telemedizin die Behandlungssituation bei vielen chronischen Erkrankungen aus dem internistischen und allgemeinmedizinischen Bereich nachhaltig verbessern. Das erste DMW Themenheft „Telemedizin” fühlt sich diesen Brückenschlägen verpflichtet.

Prof. Dr. med. Martin Middeke

Blutdruckinstitut München

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