Informationen aus Orthodontie & Kieferorthopädie 2007; 39(2): IX-X
DOI: 10.1055/s-2007-981199
Gasteditorial

© Georg Thieme Verlag

Meine Anerkennung für die neuen weltweit führenden Kieferorthopäden aus Europa

A Salute for the New European World Leaders in Clinical OrthodonticsB. U. Zachrisson1
  • 1Department of Orthodontics, University of Oslo, Oslo, Norway
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Publication Date:
01 October 2007 (online)

Nach über 40 Jahren kieferorthopädischer Praxis blicke ich heute im Jahr 2007 fasziniert und voller Anerkennung auf die gewaltige Entwicklung und die Fortschritte der europäischen Kieferorthopädie zurück.

Es war der offenkundige Rückstand in der Behandlung mit festsitzenden Apparaturen in unserem Teil der Welt, der in den frühen Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts zur Gründung der Angle Society of Europe (ASE) durch Dr. Ernst Hösl (Deutschland) und Dr. Juan Canut (Spanien) führte. Beide hatten ihre kieferorthopädische Ausbildung in den Vereinigten Staaten von Amerika erhalten. Die weltweite Vormachtstellung der amerikanischen Kieferorthopädie war zu jener Zeit unbestritten und amerikanische Kieferorthopäden hatten den Eindruck, sie wären ihren Kollegen aus anderen Ländern um Lichtjahre voraus. Damals verwendete die Mehrzahl der europäischen Kieferorthopäden bei der Behandlung ihrer Fälle herausnehmbare Geräte. Die Gründer der ASE waren der Ansicht, dass sich die praktische Kieferorthopädie dadurch voranbringen ließe, dass die führenden Kieferorthopäden Spaniens, Deutschlands und Norwegens zusammenkämen, voneinander lernten, sich gegenseitig inspirierten und sich auf diese Weise die Verwendung von festsitzenden Apparaturen in ganz Europa fördern ließe.

Aufgrund ihrer erfolgreichen Entwicklung und ihres Einflusses war die ASE an der stetigen Verbesserung der europäischen Kieferorthopädie beteiligt und heute befindet sich hier die Behandlung mit festsitzenden Geräten auf einem hervorragenden Niveau. Dies bedeutet, dass die Vormachtstellung der Kieferorthopädie in den USA von führenden Kieferorthopäden und den Entwicklungen in Europa und Asien (wo bekanntlich die Minischrauben als alternative Verankerung erstmals eingesetzt wurden) herausgefordert und teilweise sogar überflügelt wird. Blättert man heute in den verschiedenen kieferorthopädischen Zeitschriften, so ist es auffällig und bemerkenswert, wie viele der klinischen Beiträge aus europäischen oder asiatischen Universitäten kommen. Offensichtlich haben wir in Europa eine große Gruppe junger und talentierter Praktiker und das Niveau der europäischen Kieferorthopädie wird allgemein als sehr hoch eingeschätzt. Beim diesjährigen Kongress der American Association of Orthodontists in Seattle, WA, spielten einige europäische Kieferorthopäden eine herausragende Rolle und hielten vor großem Publikum ausgezeichnete Vorträge.

Das überraschte mich nicht. Während der vergangenen Jahre wurde ich bei internationalen Treffen und Kongressen wiederholt von dem hohen Maß an Kompetenz und den viel versprechenden Fähigkeiten vieler junger europäischer Kieferorthopäden beeindruckt. Diese Praktiker sind auf dem besten Wege oder zählen bereits zu den in unserer Profession weltweit führenden Persönlichkeiten. Die bloße Erwähnung einiger dieser Kollegen und ihrer Forschungsschwerpunkte ergeben eine eindrucksvolle Liste:

Marco Rosa (Italien) arbeitet an der Verbesserung der kieferorthopädischen Verfahren zum Lückenschluss bei fehlenden seitlichen Schneidezähnen durch die Kombination von Methoden aus der ästhetischen Zahnheilkunde und exzellenter und sorgfältiger kieferorthopädischer Behandlung.

Peter Diedrich (Deutschland) beschäftigt sich mit der kieferorthopädischen Behandlung von Erwachsenen mit fortgeschrittenen Parodontalerkrankungen unter Einbeziehung von Verfahren zur gesteuerten Geweberegeneration.

Hans Pancherz und Sabine Ruf (Schweden und Deutschland) untersuchen den Einsatz von festsitzenden funktionskieferorthopädischen Geräten (Herbst-Apparatur) bei der Korrektur von Fehlbisslagen.

Anne Marie Kuypers-Jagtmann (Holland) beschäftigt sich mit der Analyse kieferorthopädischer Kräfte und Kraftstärken in der kieferorthopädischen Praxis.

Arild Stenvik und Ewa Czochrowska (Norwegen und Polen) führen Verlaufsstudien zur Autotransplantation von Prämolaren mit noch nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum zum Ersatz fehlender Zähne durch.

Luc Dermaut (Belgien) experimentiert mit der Autotransplantation von Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum unter Einbeziehung von Apektomie und Verfahren zum Einfrieren / Lagern solcher Zähne.

Giuliano Maino (Italien) arbeitet an der Weiterentwicklung der Spider-Screw für temporäre Verankerung.

Monica Palmer (Deutschland) beschäftigt sich mit der Distraktionsosteogenese bei der kieferorthopädischen Behandlung schwerer skelettaler Fehlbildungen.

Renato Cocconi (Italien) untersucht die Ästhetik im Zusammenhang mit kieferorthopädischer Therapie und orthodontisch-kieferchirurgischen Maßnahmen.

Gunvor Semb, Bill Shaw und Jonathan Sandy (England) arbeiten an einer verbesserten Behandlung von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und deren Management.

Ralf J. Radlanski und Paul-Georg Joost-Brinkmann (Deutschland) beschäftigen sich mit der Verbesserung von Verfahren zur approximalen Schmelzreduktion und der Entwicklung neuer Werkzeuge zur Rekonturierung von Zahnkronen.

Hans-Peter Bantleon (Österreich) untersucht die Friktion traditioneller und selbstligierender Brackets.

Neben den genannten Forschern und Praktikern gibt es noch viele weitere Europäer, die in letzter Zeit wichtige Beiträge zur Verbesserung der Qualität und der Stabilität kieferorthopädischer Behandlungsergebnisse geleistet haben.

Diese Forschungen und Entwicklungen scheinen mir für die Kieferorthopädie wichtiger zu sein als die meisten aktuellen Ansätze aus Amerika. Offenbar beschäftigen sich die progressiven Köpfe in den Vereinigten Staaten zur Zeit hauptsächlich mit den wirtschaftlichen Aspekten unserer Disziplin oder mit der Entwicklung von ausgefallenen Technologien. Es ist natürlich zu begrüßen, dass wir heute eine größere Anzahl von Patienten behandeln können, aber routinemäßig selbstligierende Brackets, superelastische Drähte und permanente Retention mit festsitzenden lingualen Retainern zur Behandlung von gewöhnlichen Fällen mit Engständen zu empfehlen, könnte sich letztendlich als Rückschritt herausstellen. Es ist, bei aller Bescheidenheit, zumindest zweifelhaft, ob die eingerichteten Protrusionen der unteren Schneidezähne und die anterior expandierten Unterkiefer im Lauf der Zeit stabil bleiben werden. Die Forderungen nach neuen Methoden zur „Entwicklung des Gebisses”, zum „Wachstum von Knochen” mit Hilfe kontinuierlicher leichter Kräfte werden uns möglicherweise eine neue Debatte im Stil der Auseinandersetzungen zwischen Angle und Tweed zum Thema Extraktion vs. Nonextraktion bescheren, die wir sicherlich nicht brauchen können. Der amerikanische Weg hin zur Entwicklung neuer computergestützter Verfahren, wie etwa die dreidimensionale Röntgentechnik und die Cone-Beam-Technologie sind sicherlich interessant und informativ, sie tragen allerdings nur wenig zur Verbesserung der Qualität einer kieferorthopädischen Behandlung bei.

Als Bilanz und Ausblick dieses Gasteditorials möchte ich festhalten, dass sich das ehemals deutliche Ungleichgewicht zwischen den Vereinigten Staaten und Europa in der fachlichen Kompetenz, der Behandlung und der Qualität der Kieferorthopädie in den letzten Jahren nivelliert hat. In dieser Hinsicht blickt die europäische Kieferorthopädie in der Tat einer strahlenden Zukunft entgegen.

B. U. Zachrisson

Department of Orthodontics · University of Oslo

PO Box 11 09 Blindern

0317 Oslo

Norway

Email: zachriss@odont.uio.no

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