Viszeralchirurgie 2007; 42(6): 395-399
DOI: 10.1055/s-2007-990476
Das viszeralchirurgische Prüfungsgespräch

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Leistenhernie, inklusive kindliche und erwachsene Leistenhernie, laparoskopisch versus offen, verschiedene Netze

Inguinal Hernia, Including Pediatric and Adult Inguinal Hernias, Laparoscopic Versus Open Methods, Various Types of MeshesB. H. Markus1
  • 1Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Akademisches Lehrkrankenhaus der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
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Publikationsdatum:
20. Dezember 2007 (online)

Welches sind die Ursachen für die Entstehung einer Leisten- bzw. Schenkelhernie?

Ursachen von Hernien im Allgemeinen sind entweder eine anatomisch präformierte Lücke oder ein Verlust der Gewebefestigkeit. Dabei findet der erworbene Leistenbruch und auch der Schenkelbruch sein anatomisches Korrelat in der von Fruchaud beschriebenen muskuloaponeurotischen Lücke, die lateral vom M. iliopsoas, kranial von der Transversusarkade, medial von der Rektusscheide und kaudal vom Schambein begrenzt wird. Durch diese Lücke ziehen dorsal des Leistenbandes die Femoralisgefäße (Lacuna vasorum) und ventral des Leistenbandes beim Mann der Ductus deferens sowie die Vasa testicularis und bei der Frau das Lig. rotundum (Leistenkanal). Warum es nur bei einigen Menschen zur Entstehung einer Leisten- bzw. Schenkelhernie kommt, ist letztendlich noch nicht geklärt. Prinzipiell handelt es sich bei der Entstehung von Hernien um ein multifaktorielles Geschehen bei dem Faktoren wie Übergewicht, starkes Pressen bei chronischer Koprostase, Bindegewebsschwächen, Schwangerschaften, Stoffwechselstörungen (Ehlers-Danlos-Syndrom), Traumen oder auch Voroperationen (Narbenhernien) mit von Bedeutung sein können.

Erläutern Sie die speziellere Anatomie des Leistenkanales bei einer medialen bzw. lateralen Leistenhernie.

Man unterscheidet die mediale Leistenhernie, welche medial der epigastrischen Gefäße in den Leistenkanal eintritt und von dort auf geradem Wege den äußeren Leistenring erreicht (direkte Leistenhernie) von der lateralen Leistenhernie, welche lateral der epigastrischen Gefäße dem Leistenkanal folgend schräg durch die Bauchdecke zieht, um dann den äußeren Leistenring zu erreichen (indirekte Hernie).

Die äußere Durchtrittsstelle durch die Bauchwand sowohl für die mediale (direkte) als auch für die laterale (indirekte) Leistenhernie ist der äußere Leistenring. Er wird gebildet aus dem medialen und lateralen Schenkel der Externusaponeurose. Die innere Durchtrittsstelle der lateralen (= indirekten) Leistenhernie durch die Bauchwand ist der innere Leistenring. Er wird von den Fasern des M. transversus abdominis gebildet (Transversalisschlinge). Die innere Durchtrittsstelle der medialen (= direkten) Leistenhernie ist das Hesselbach-Dreieck, welches medial von den epigastrischen Gefäßen und lateral von der Transversusarkade begrenzt wird.

Welches sind die Besonderheiten der Schenkelhernie in Anatomie, Klinik und operativer Versorgung?

Die Schenkelhernie ist mit ca. 5 % aller Hernien wesentlich seltener als die Leistenhernie und betrifft zu 75 % das weibliche Geschlecht, bevorzugt im fortgeschrittenen Lebensalter. Ihre Lokalisation ist die Lacuna vasorum, wo sie medial der Femoralgefäße unterhalb des Leistenbandes austritt. Die Patienten geben häufig uncharakteristische Schmerzen in der Leistenregion an, mit Ausstrahlung in den Oberschenkel, insbesondere nach körperlicher Belastung. Bei adipösen Patienten lässt sich oft kein Bruchgeschwulst ertasten. Die Diagnose Femoralhernie ergibt sich daher meist aus der sonografischen Untersuchung des Patienten.

Liegt eine isolierte Schenkelhernie vor, kann diese teilweise ohne Eröffnung des Leistenkanals von einem schrägen Schnitt unterhalb des Leistenbandes versorgt werden. Hierbei wird nach Reposition der Hernie die Schenkelbruchpforte durch Naht des Leistenbandes auf das Cooper-Ligament versorgt (Verfahren nach Fabrizius). Liegt eine Kombination aus Femoralhernie und Leistenhernie vor, muss zur anterioren Versorgung beider Hernien der inguinale Zugang mit Eröffnung der Leistenkanalhinterwand, also der Fascia transversalis, gewählt werden. Die Schenkelbruchpforte wird dann durch Naht der Fascia transversalis und der Transversusarkade an das Cooper-Ligament verschlossen (Verfahren nach Lotheissen-McVay).

Alternativ wird heute häufig ein endoskopisches Vorgehen gewählt, bei welchem die Bruchpforte vom Bauchraum gut eingesehen und mit einem Netz verschlossen werden kann (siehe unten).

Erläutern Sie die Einteilung der Leistenhernien nach Nyhus und worin liegt die Bedeutung?

Einteilungen der Leistenhernien versuchen heute die pathologischen Korrelate der Leistenhernien näher zu differenzieren. Ziel ist dabei oft, die modernen Verfahren der operativen Leistenhernienversorgung im Verlauf genauer untersuchen und wissenschaftlich auswerten zu können.

Hier hat sich insbesondere die Einteilung der Leistenhernien nach Nyhus bewährt. Er unterteilt die Hernien in solche ohne (Typ I und II) und solche mit Hinterwanddefekt (Typ III und IV) (Tab. [1]).

Tab. 1 Nyhus-Klassifikation der Leistenhernien ohne Hinterwanddefekt Typ I indirekt innerer Leistenring normal Typ II indirekt innerer Leistenring erweitert mit Hinterwanddefekt Typ III A direkt Fasziendefekt oder Instabilität im Hesselbach-Dreieck Typ III B indirekt innerer Leistenring nach medial (in das Hesselbach-Dreieck hinein) erweitert Typ III C femoral Femoralring erweitert Typ IV Rezidiv

Beschreiben Sie kurz die Durchführung der Lokalanästhesie zur Versorgung einer Leistenhernie.

Die Lokalanästhesie bei der Leistenhernie besteht aus einer Leitungsanästhesie und einer zusätzlichen Infiltrationsanästhesie. Nach Anzeichnen der Schnittführung wird die Leitungsanästhesie etwa 1 cm medial der Spina ilaca anterior superior gesetzt. Dabei wird an dieser Stelle ein schneller und ein länger wirkendes Lokalanästhetikum (z. B. Lidocain 1 % und Bubivacain 0,5 % zu gleichen Teilen) fächerförmig unter die Externusaponeurose im Verlauf des N. ilioingunalis und des N. iliohypogastricus injiziert. Anschließend wird entlang der späteren Schnittführung subkutan und intradermal eine Infiltrationsanästhesie durchgeführt. Diese wird nach Durchtrennen von Haut, Subkutis und Externusfaszie durch weitere Injektionen im Bereich des Tuberculum pubicum, an der Basis des Samenstrangs und am inneren Leistenring ergänzt. Die Höchstmengen der jeweiligen Lokalanästhetika müssen dabei beachtet werden. Auch wird oftmals eine zusätzliche, medikamentöse Sedierung des Patienten sowie i. v.-Gabe eines Schmerzmittels mit angewandt.

Erklären Sie kurz die Operationstechnik nach Shouldice zum Leistenhernienverschluss.

Das Prinzip der Shouldice-Technik ist die Verstärkung der Leistenkanalhinterwand durch Doppelung der Fascia transversalis. Nach Hautschnitt in der Leiste wird die Externusaponeurose unter Beachtung der Nerven eröffnet. Der Bruchsack wird aufgesucht und freigelegt. Beim indirekten Bruch wird der Bruchsack abgetragen, beim direkten Bruch oft nur reponiert. Die Fasern des M. cremaster sollten reseziert werden, um einen möglichst schlanken Samenstrang zu erhalten und damit den inneren Leistenring eng rekonstruieren zu können. Nach Spalten der Fascia transversalis wird mittels fortlaufender Naht und von medial am Tuberculum pubicum beginnend, die kaudale Lefze der Fascia transversalis unter die kraniale Lefze genäht. Als Nahtlager dient hier im medialen Abschnitt die Rückseite der Rektusscheide, die durch die Fascia transversalis weiß durchschimmert („weiße Linie”). Anschließend wird mit der gleichen Naht in umgekehrter Stichrichtung die kraniale Lefze auf die kaudale genäht. In einer weiteren Nahtreihe adaptiert man ebenfalls fortlaufend den M. obliquus internus abdominis an den Unterrand des Leistenbandes. Die Nähte erfolgen jeweils mit nicht-resorbierbarem Nahtmaterial. Danach erfolgt der Verschluss der Externusaponeurose und der Haut.

Was verstehen Sie unter dem Verfahren nach Lichtenstein in Zusammenhang mit der Leistenhernienchirurgie?

Das Verfahren nach Lichtenstein ist eine Methode zum spannungsfreien, inguinalen Bruchlückenverschluss mit Einlage eines Kunststoff-Netzes. Nach Präparation und Reposition des Bruchsacks sowie Darstellung der Samenstranggebilde erfolgt beim Verfahren nach Lichtenstein die Einnaht eines für den Samenstrang geschlitzten, nicht resorbierbaren Kunststoff-Netzes (8 × 12 cm). Dieses wird zunächst mit fortlaufender nicht resorbierbarer Naht inferior lateral an den Unterrand des Leistenbandes genäht und dann kranial medial auf dem M. obliquus internus abdominis mittels Einzelknopfnähten fixiert. Zusätzlich erfolgt zur Vermeidung eines medialen Rezidivs inferior medial eine Fixierung des Netzes auf dem Tuberculum pubicum mittels Einzelknopfnaht. Der Verlauf der einzelnen Nerven im Leistenbereich muss bei der Nahtfixation insbesondere nach medial hin genau beachtet werden. Die Nerven sollten dafür entsprechend identifiziert werden.

Kennen Sie neben dem Verfahren nach Lichtenstein weitere spannungsfreie Verfahren mit Kunststoff-Netzen zur Versorgung einer Leistenhernie?

Es existieren verschiedene Modifikationen unter Benutzung von Kunststoff-Netzen wie z. B. die „Plug-und-Patch-Technik” oder die reine „Plug-Technik”. Bei der „Plug-und-Patch-Technik” wird ähnlich wie bei der Lichtenstein-Technik ein Onlay-Patch (10 × 5 cm) auf die Fascia transversalis aufgebracht. Vor Einlage des Onlay-Patches wird bei der „Plug und Patch-Technik” zusätzlich ein Schirmchen (Plug) aus einem 5 × 5 cm großen Netzstück gebildet und komplett hinter den inneren Leistenring versenkt. Von der Industrie werden diese Netze auch als Fertigprodukte vertrieben. Ist der innere Leistenring pathologisch erweitert, wird dieser zusätzlich mit einer Naht eingeengt. Bei der reinen „Plug-Technik” wird die Bruchpforte lediglich mit einem Kunststoff-Netz im Sinne eines Stopfens verschlossen (Rutkow-Plug).

Beschreiben Sie kurz die Techniken der endoskopischen Leistenhernienreparation.

Im Gegensatz zum anterioren Verfahren nach Lichtenstein, bei dem das Netz ventral auf die Bauchwandmuskulatur genäht wird, wird das Netz beim posterioren endoskopischen Verfahren präperitoneal hinter die Bauchwandmuskulatur bzw. nach kaudal hinter die Fascia transversalis gelegt. Bei der endoskopischen extraperitonealen Hernioplastik (EEHP oder TEP) wird die Leistenregion vom Nabel her ohne Eröffnung des Bauchraumes extraperitoneal dargestellt und der Bruch mittels Einlage eines Netzes verschlossen. Das transperitoneale endoskopische Verfahren (TAPP) unterscheidet sich vom endoskopisch extraperitonealen im Zugang zur Leistenhinterwand. Dieser erfolgt ebenfalls vom Nabel aus, aber transperitoneal also über eine Bauchspiegelung. Das parietale Peritoneum wird von innen inzidiert, um den Bruchsack zu reponieren und anschließend das Kunststoff-Netz einzubringen und zu fixieren. Abschließend wird das Peritoneum wieder verschlossen.

Beim bilateralen Bruch hat der Operateur darüber hinaus die Möglichkeit, beide Seiten über den gleichen Zugang zu versorgen.

Können Sie einige Details zu unterschiedlichen Kunststoff-Netzmaterialien erläutern?

Alloplastische Kunststoff-Netze zur Versorgung von Leistenhernien werden von verschiedenen Herstellern angeboten. Unterscheiden kann man nach den unterschiedlichen Materialien wie Polyäthylenterephtalat (PET) (z. B. Mersilene®), Polytetrafluoräthylen (PTFE) (z. B. Mycromesh®) und vor allem Polypropylen (z. B. Prolene®, Atrium®, Marlex®, Biomesh®, Surgimesh®, Optilene® Mesh Elastic, Surgipro® Mesh). Letzteres Material wird auch mit resorbierbaren Anteilen angeboten (z. B. Vypro®, Ultrapro®, Parietene Progrip®). Bei Implantaten aus PTFE bzw. in der hitzeexpandierten Form als ePTFE bezeichnet, erfolgt keine bindegewebige Durchbauung des Implantates, sodass diese dauerhaft fixiert werden müssen. Bei den anderen, gewebten Netzen mit gitterartiger Struktur wird das Netz durchsetzt mit Wirtsgewebe und damit nach anfänglicher Fixierung mittels Naht, Metallklammern, Metallspiralen, Kunststoff-Häkchen oder Kleber sukzessive im umliegenden Gewebe fest eingebaut und verankert. Prinzipiell steht bei allen Weiterentwicklungen dieser Kunststoff-Netze eine Verbesserung der Elastizität bei Gewährleistung einer ausreichenden Berstungsstabilität im Vordergrund.

Die heute am häufigsten benutzten Polypropylen-Netze weisen dabei je nach Webstruktur eine unterschiedliche Porengröße und ein unterschiedliches Gewicht auf. Die Webfäden bestehen heute oft auch aus zusätzlichen, resorbierbaren Teilfäden. Auch hierfür werden je nach Netz verschiedene monofile oder polyfile Komponenten eingesetzt. Teilweise werden diese Netze auch vom Hersteller zusätzlich beschichtet. Vollresorbierbare Netze haben bei dieser Art der Bruchversorgung keine Bedeutung, da hiermit keine Langzeitstabilität zu erreichen ist.

Die vielfältigen Varianten der verfügbaren alloplastischen Kunststoffnetze sind Gegenstand ausgiebiger wissenschaftlicher Untersuchungen, um mit stetigen Verbesserungen die Qualität der Leistenhernienversorgung weiter zu verbessern.

In Einzelfällen werden auch Netze aus aufbereitetem Rinder- bzw. Schweinekollagen (z. B. Tutomesh®, Surgisis IHM®, CollaMend®) verwandt.

Worin liegen die Besonderheiten von kindlichen angeborenen Leistenhernien in Symptomatik, Diagnose und Therapie?

Kindliche angeborene Leistenhernien sind in aller Regel indirekte Hernien, welche durch einen unvollständigen Verschluss des Processus vaginalis peritonei entstehen. Frühgeburten sind häufiger betroffen. Dabei ist der Processus vaginalis peritonei eine Ausstülpung des Peritoneums, welche beim Deszensus des Hodens bis auf die Bezirke, die die Tunica vaginalis testis bilden, normalerweise obliteriert. Bei unvollständiger Obliteration können indirekte angeborene Leistenhernien bzw. die verschiedenen Formen der Hydrozele entstehen. Durch den intraabdominellen Druck wird der Processus geweitet, bis Darm, Netz oder beim Mädchen häufig das Ovar in den Bruchsack rutschen und die Hernie damit klinisch manifest wird. Eine Hydrozele kann durch kräftiges Aufleuchten unter Diaphanoskopie abgegrenzt werden. Auch zeigt diese keine Schmerzen und tritt meist nicht akut auf.

Kindliche Leistenhernien werden oft erst bei Einklemmung und damit entstehenden Schmerzen durch die Eltern entdeckt. Diese Hernien müssen unmittelbar reponiert oder bei fehlendem Erfolg operiert werden. Sorgfältig beachtet werden muss eine Hodentorsion, welche eine dringliche Operation erfordert. Das beim Mädchen evtl. prolabierte Ovar darf nicht durch Repositionsversuche geschädigt werden, sondern muss operativ freigelegt und reponiert werden.

Teilweise berichten Eltern auch von rezidivierenden, offenbar schmerzlosen Vorwölbungen in der Leiste, welche insbesondere beim schreienden Säugling auftreten. Bei der klinischen Untersuchung sind diese Hernien oft nicht als mehr Vorwölbung zu erkennen. Für den palpierenden Finger ist der offene Processus unter leichtem Zug am Hoden teils nur als dünner Strang im Leistenkanal zu spüren. Die vergleichende Untersuchung mit der nicht betroffenen Gegenseite kann hilfreich sein. Die OP-Indikation muss dabei oft auf die Informationen der Eltern gestützt werden.

Eingeklemmte Hernien lassen sich im Kindesalter fast immer reponieren (Ausnahme: kein Versuch der Reposition beim prolabierten Ovar des Mädchens). Die Operation sollte dann nach Abklingen der Schwellung mit einer Latenz von 2-3 Tagen geplant werden.

Bei der Operation wird nach einem Hautschnitt entlang der Hautspaltenlinien der äußere Leistenring und die Externusaponeurose aufgesucht. Diese wird etwas inzidiert, um den Ursprung des Bruchsackes erreichen zu können. Letzterer wird vom Samenstrang abpräpariert, quer durchtrennt und am inneren Leistenring umstochen sowie abgetragen. Bei zusätzlichem Vorliegen einer direkten Bruchlücke sollte die Hinterwand durch eine Naht stabilisiert werden. Beim Mädchen wird der Stumpf des Bruchsackes retromuskulär fixiert, um dem Lig teres uteri einen neuen Halt zu geben.

Es kommt ein 54-jähriger Patient mit dem Rezidiv einer Leistenhernie in Ihre Ambulanz. Welches Verfahren empfehlen Sie unter der Voraussetzung, dass er nicht abdominell voroperiert ist.

Hier bietet sich ein endoskopisches Vorgehen (siehe oben) an. Diese Techniken haben in dieser Situation den Vorteil, dass von einem unberührten Gebiet aus, also von posterior bzw. vom Abdomen her, operiert wird. Dieses ist technisch oft einfacher und die Anatomie übersichtlicher. Auch können Verletzungen des Samenstranges, der testikulären Gefäße und der dort verlaufenden Nerven eher vermieden werden.

Es kommt ein 69-jähriger Patient mit einer nicht-reponiblen und druckschmerzhaften Vorwölbung im Bereich der rechten Leiste in die chirurgische Ambulanz. Eine Leistenhernie mit Einklemmung wird diagnostiziert. Wie gehen Sie weiter vor und beschreiben Sie kurz die OP-Technik?

Bei der inkarzerierten, also eingeklemmten Hernie kommt es im Bruchsack zu einem Einklemmen von z. B. Darm, Harnblasenwand oder großem Netz mit der möglichen Folge einer Durchblutungsstörung. Sie stellt einen absoluten Notfall dar, da es im weiteren Verlauf bei möglicherweise eingeklemmten Darm zur ischämisch bedingten, bakteriellen Durchwanderung von Darmanteilen mit der Folge einer generalisierten Peritonitis kommen kann. Ist die Reposition des Inkarzerats weder spontan noch nach entsprechender Analgesierung zeitnah, d. h. innerhalb wenigster Stunden, möglich, besteht die Indikation zur sofortigen chirurgischen Exploration.

Dieses kann in Vollnarkose in typischer Weise über einen Leistenschnitt mit Begutachtung des eingeklemmten Gewebes (cave: livide Verfärbung bzw. Nekrose) und anschließender Reposition erfolgen. Danach erfolgt der Bruchlückenverschluss in typischer Weise.

Sollte der evtl. zwischenzeitlich (oft bei Narkoseeinleitung) reponierte Bruchinhalt vom Leistenschnitt aus nicht zu beurteilen sein oder wenn eine Reposition von hier aus nicht gelingt, dann wird eine mediane Unterbauch-Laparotomie notwendig. Von hier aus kann auch eine evtl. notwendige Resektion der zuvor eingeklemmten und geschädigten Darmanteile erfolgen.

Bei V. a. bakterielle Kontamination des OP-Gebietes z. B. bei Darmnekrose und -resektion muss allerdings die Indikation zur Implantation eines Kunststoff-Netzes in gleicher OP-Sitzung sehr restriktiv gestellt werden.

Bei dem geschilderten Patienten gelingt nach entsprechender Analgesie mühsam die Reposition des Bruchsacks. Sie werden 2 Stunden später erneut zu diesem Patienten gerufen, weil er über heftige abdominelle Schmerzen klagt. Was könnte vorliegen?

Nach erfolgter Reposition einer vormals inkarzerierten Hernie ist eine engmaschige klinische Untersuchung nötig, um eine „Reposition en bloc” auszuschließen. Hierbei handelt es sich um eine Reposition des gesamten Bruchinhaltes samt Bruchpforte, was zwar zu einem Verschwinden der Vorwölbung führt, jedoch nicht das Inkarzerat beseitigt. Bei anhaltender Schmerzsymptomatik nach Reposition mit dem klinischen Bild eines Ileus / Subileus ist daher ebenfalls die chirurgische Exploration indiziert.

Es kommt eine 24-jährige Patientin mit einer gut reponiblen Leistenhernie in die chirurgische Ambulanz, bei welcher die Indikation zur elektiven Versorgung gestellt wird. Welches Verfahren empfehlen Sie?

Die meisten Chirurgen sind aufgrund noch ausstehender Langzeitergebnisse der Kunststoff-Netz-Implantation bei jungen Patienten entsprechend zurückhaltend mit der Einlage dieser nichtresorbierbaren Netze. Hier bietet sich das Verfahren nach Shouldice an.

Worin unterscheiden sich die einzelnen Versorgungsarten des Leistenbruches beim Erwachsenen im längeren Verlauf?

Nach dem bisherigen Stand der Untersuchungen erscheint das Auftreten von chronischen Schmerzen nach Leistenhernienversorgung mittels endoskopischer, posteriorer Techniken etwas vermindert im Vergleich zu dem anterioren Vorgehen mittels Schnitt und Präparation in der Leistenregion. Bez. der Rezidivhäufigkeit bestehen bei Langzeit-Nachuntersuchungen, korrekte, jeweilige Operationstechnik vorausgesetzt, keine entscheidenden Unterschiede. Die Risiken der einzelnen Zugangswege von außen durch die Haut der Leistenregion auf kurzem Wege (Shouldice, Lichtenstein, etc.), durch das Abdomen (endoskopische TAPP-Technik) oder entlang der Bauchwand vor dem Peritoneum (endoskopische EEHP oder TEP-Technik) müssen jedoch mit bedacht werden.

Was bedenken Sie bei der Aufklärung eines 43-jährigen Mannes zur Leistenbruchoperation zusätzlich zur Aufklärung über die üblichen Risiken wie Entzündung, Abszessbildung, Lagerungsschäden etc.?

Die Aufklärung muss auch über Schwellung, Schrumpfung und Verlust des Hodens sowie bei bestehender Schädigung des Hodens der Gegenseite oder beidseitiger Operation über mögliche Infertilität aufklären. Trotz aller Sorgfalt können Nachbarorgane (z. B. Dünn, Dickdarm, Harnblase, Samenleiter) verletzt werden. Blutgefäßverletzungen sind selten, können aber im Einzelfall zu einer Gefäßoperation oder Bluttransfusion führen. Eine Durchtrennung oder Vernarbung von Hautnerven oder tieferliegenden motorischen Nerven kann Taubheitsgefühl, Lähmungen und selten auch bleibende Schmerzen in der Leistenregion mitsamt Beeinträchtigung des Beines der operierten Seite verursachen. Weitergehende Verletzungen können auch zu einer Beinvenenthrombose führen.

Was zeigen epidemiologische Daten zu Komplikationen der Leistenhernie und was bedeutet dies für die Versorgung beim alten Patienten?

Epidemiologische Daten zur Leistenhernie sind in unseren Regionen aufgrund der hohen Versorgungsdichte kaum zu erheben. Bei einer Untersuchung in Kolumbien zeigte sich aber für 0-9-jährige Kinder eine sehr niedrige Prävalenz von 0,45 % bei einem sehr hohen Inkarzerationsrisiko in dieser Altersgruppe von 1,7 % pro Jahr. Bei über 70-jährigen Menschen war die Prävalenz mit 19,4 % recht hoch, das Inkarzerationsrisiko aber mit 0,3 % pro Jahr eher niedrig.

Beim sehr alten Menschen mit evtl. relevanten Begleiterkrankungen, welcher schon seit mehreren Jahren mit einem Bruch lebt, sollte die Operationsindikation gründlich hinterfragt und individuell gestellt werden, da der Nutzen einer Operation gegen die sicherlich vorhandene Operationsmorbidität und -mortalität abgewogen werden muss. Gerade die große, schon länger vorhandene Bruchlücke neigt eher selten zur Einklemmung.

Prof. Dr. med. B. H. Markus

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