Zusammenfassung
Hintergrund: Vorgestellt wird der Fall eines Berufsmusikes mit einem akuten beidseitigen Tinnitus.
Der Patient gab an, beim Spiel mit einer bestimmten Geige seinen zum Zeitpunkt der
Erstvorstellung seit 4 Wochen bestehenden beidseitigen Tinnitus in einem umschriebenen
Frequenzbereich lauter und schmerzhafter zu empfinden als beim Spiel mit einem anderen
Instrument. Fallbericht: Bei dem 42jährigen Patienten lag audiometrisch rechts ein normales Hörvermögen vor.
Links bestand eine diskrete Hochtonhörminderung von bis zu 20 dB. Transitorische evozierte
otoakustische Emissionen waren nur rechts reproduzierbar evozierbar. Der Tinnitus
war beidseits verdeckbar (Distanztyp), die Nachverdeckung war nur rechts positiv.
Mittels einer In-situ-Messung konnte das unterschiedliche spektrale Schalldruckverhalten
der beiden Geigen trommelfellnah verifiziert werden. Die gemessenen Schalldruckpegel
erreichen beim Forte-Spiel ein potentiell innenohrschädigendes Ausmaß. Die Tinnitusbeschwerden
konnten durch intravenöse Lidocaininfusionen gemildert werden. Diskussion und Schlußfolgerung: Eine mögliche Ursache der beim Spiel mit einer bestimmten Geige verstärkten Tinnitusbeschwerden
ist das unterschiedliche Obertonspektrum der beiden Instrumente mit einer Resonanzüberhöhung
im vom Musiker angegebenen Tonbereich. Denkbar ist auch eine im Innenohr lokalisierte
Überlagerung des durch Luftleitung mit dem durch die Ankoppelung des Instrumentes
an den knöchernen Schädel durch Knochenleitung übertragenen Schalls, die meßtechnisch
nicht erfaßt werden kann. Eine entschädigungspflichtige Berufserkrankung ist im vorliegenden
Fall nicht anzunehmen. Grundsätzlich können beim Forte-Spiel potentiell innenohrschädigende
Schalldruckpegel auftreten, die jedoch nach den Angaben der Literatur auch nach jahrzehntelanger
beruflicher Tätigkeit als Orchestermusiker nur in Ausnahmefällen zu einer Hörminderung
von entschädigungspflichtigem Ausmaß führen. Dennoch sind bei Orchestermusikern arbeitsmedizinische
audiometrische Untersuchungen sowie die Entwicklung adäquater Schallschutzmaßnahmen
zu fordern.
Summary
Background: A case of a professional violinist suffering from a bilateral tinnitus is presented.
The musician reported the tinnitus to be louder and more straining when playing his
Vuillaume violin (France 1840) as compared with his Carcassi violin (Italy 1763).
Case report: In the 42-year-old musician, audiometry revealed a normal hearing threshold in the
right ear and a slight hearing loss in the left ear of up to 20 dB between 2 kHz and
8 kHz. Transitory evoked otoacoustic emissions could only be measured in the right
ear. The tinnitus could be masked (distance type); residual inhibition was only seen
in the right ear. By sound intensity measurements in both external auditory canals,
the different sound spectra of both violins could be demonstrated. When playing with
“forte” intensity, sound pressure reached peaks of over 90 dB. The tinnitus was ameliorated
by lidocaine infusions. Discussion and conclusions: The different sound spectra of both violins may be the reason for the enhancement
of the musician's tinnitus. Interference of air and bone-conducted sound could lead
to a cochlear overlap and thus influence the tinnitus although such a phenomenon can
not be verified. It was previously reported that high-pitched instruments may cause
tinnitus sensations in performing musicians. A review of the literature surprisingly
reveals that although professional musicians are exposed to sound pressure levels
that may cause hearing impairment, only very few do develop one. This fact has to
be taken into account whenever an occupational disease is suspected.
Schlüsselwörter
Tinnitus - Berufsmusiker - In-situ-Messung
Key words
Tinnitus - Performing arts - In-situ measurement