Gesundheitswesen 2008; 70(6): 339-349
DOI: 10.1055/s-2008-1062735
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Mehr Markt” macht nicht gesund – Gesellschaftliche Risiken und solidarische Sicherung entsprechen einander

“More Market” does not Induce Health – The Relationship between Social Risks and the Assurance of SolidarityF. Hengsbach 1
  • 1Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt am Main
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Publication Date:
25 July 2008 (online)

Zusammenfassung

Die Hauptströmung der deutschen Ökonomen hat die verbreiteten Vorbehalte gegen den besonderen Charakter der Arbeit inzwischen auf das Gut Gesundheit ausgedehnt. Vor dem Hintergrund dieser Zeitströmung provoziert der Denkansatz, dass zwischen Nahrungsmitteln, Industriewaren oder Aktienpaketen und dem Gut Gesundheit ein qualitativer Unterschied besteht, selbst wenn die Gesellschaft sich angewöhnt hat, von Gesundheitsmärkten zu reden sowie von den Faktoren, die das Angebot und die Nachfrage nach Gesundheitsgütern bestimmen. In einem ersten Schritt wird dargestellt, wie derzeit kommerzielle Imperative das Gesundheitswesen überformen. In einem zweiten Schritt sollen politische Infektionen genannt werden, die jene kommerziellen Imperative verstärkt haben. Welche Chancen solidarische Gegenentwürfe des Gesundheitswesens haben, wird in einem dritten Schritt erläutert.

Abstract

The prevailing fashion of German macroeconomics has meanwhile extended the common apprehension against the special characteristic of labour towards the good “health”. Against the background of this currently prevailing trend, a school of thought which claims a qualitative difference between food, industrial goods or shares and good “health” is provocative. This is true even if society is getting used to a rhetoric of health markets and of the factors determining the supply and demand of health goods. In a first step it will be made transparent how, currently, commercial imperatives are dominating the health-care system. In a second step political interventions will be named that have reinforced commercial imperatives. The chances of solidarity-based alternatives for the health-care system are presented and discussed in a third step.

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