B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2008; 24(4): 169-170
DOI: 10.1055/s-2008-1076900
Gesundheitspolitik

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Ess- und Bewegungsverhalten müssen gelernt werden

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Publication Date:
08 August 2008 (online)

Das Institut für Ernährungspsychologie an der Universitätsmedizin Göttingen und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Sektion Niedersachsen, haben Mitte April in der Landesärztekammer Hannover die Fachtagung zum Thema „Entwicklung von Ess- und Bewegungsverhalten – Chancen und Grenzen für die Prävention” veranstaltet. Etwa 200 Ärzte, Pädagogen, Ernährungsfachkräfte und Psychologen besuchten die Tagung.

Die Präsidentin der niedersächsischen Ärztekammer, Dr. Martina Wenker, betonte zur Begrüßung, wie dringend notwendig wirksame Präventionsstrategien sind, um optimale Ernährung und Bewegung für Kinder zu ermöglichen und Übergewicht zu vermeiden, dessen Folgen oft lebenslang die Gesundheit bedrohen.

Die Bundesregierung will deshalb in Schulen das Ernährungswissen verbessern, um Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen zu verhindern. Der Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie an der Universitätsmedizin Göttingen, Priv. Doz. Dr. Thomas Ellrott, hält diesen Ansatz für wenig erfolgversprechend: „Essverhalten wird nicht durch Informationen, sondern v. a. durch Training und eine Vielzahl anderer Motive geprägt. Die Speisenangebote und die Eltern beeinflussen als Vorbilder stark das kindliche Essverhalten.” Deutsche Kinder wüssten heute schon genau, welche Lebensmittel „gesund sind” und „stark machen”, so Ellrott. „Doch genau solche Lebensmittel mögen und essen sie nicht. Mit Ver- und Geboten und einer Einteilung von Lebensmitteln in Gut und Schlecht wird das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich beabsichtigt ist.”

Nicht nur das ungünstige Essverhalten, auch die verbreitete Immobilität, gefördert durch Fernsehen und PC in den Kinderzimmern, wirken sich nachteilig auf das Gewicht aus. Prof. Dr. Claus Vögele von der Roehampton Universität, London, belegte dies mit Untersuchungsergebnissen. Bereits 9- bis 10-jährige Kinder verbringen den Großteil ihrer Freizeit mit „sitzenden Beschäftigungen”. Vögele zeigte, wie wenig erfolgreich bisherige Präventionsprogramme sind, um die körperliche Aktivität zu steigern. „Nur wenn auch psychologische und psycho-soziale Faktoren berücksichtigt werden”, so Claus Vögele, „kann ein Einfluss auf das körperliche Aktivitätsniveau erreicht werden.” Bedingungen, die Kinder motivieren können, aktiver zu werden sind: das Vorbild der Eltern, die Akzeptanz des Bewegungsverhaltens durch Gleichaltrige, die Selbstüberzeugung, dass es gut ist, sich zu bewegen und es auch schaffen zu können. 

„Viele halten die Werbung für den Sündenbock, die Kinder zur falschen Auswahl von Lebensmitteln verführt”, sagte Prof. Dr. Volker Pudel von der DGE. Den tatsächlichen Einfluss der Food-Werbung erforscht Prof. Dr. Jörg Diehl, Psychologe an der Universität Gießen. Internationale Studien haben das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen in Ländern verglichen, in denen Food-Werbung verboten ist. So sei seit 1980 in der Provinz Quebec (Kanada) Food-Werbung für Kinder ebenso verboten wie in Schweden, so Diehl. Doch sei der Anteil übergewichtiger Kinder in Quebec, aber auch in Schweden nicht geringer als in anderen Landesteilen bzw. Ländern. 

In Deutschland ist der Anteil dicker Kinder ständig gestiegen, nicht aber die durchschnittliche Fernsehzeit. Erhebungen der Konsumgewohnheiten zeigen auch, dass übergewichtige Kinder nicht mehr von den beworbenen Produkten verzehrten als normal- oder untergewichtige Kinder. Dazu Professor Diehl: „Eine Beschränkung der an Kinder gerichteten Food-Werbung oder ein gänzliches Verbot würde keine rationale Basis haben und Deutschlands Jugend mit Sicherheit nicht schlanker machen.” Eine deutlich größere Bedeutung maß Diehl der gesamten Fernseh- und Medienzeit bei, da das Fernsehprogramm selbst für den weitaus größten Teil der Inaktivität der Kinder und Jugendlichen verantwortlich sei, nicht aber die Werbung. Die Dauer der Inaktivität sei mit dem Risiko für Übergewicht eindeutig assoziiert, so Diehl.

Weitere Informationen

Universitätsmedizin Göttingen
Georg-August-Universität
Institut für Ernährungspsychologie
Humboldtallee 32, 37073 Göttingen
Tel.: 05 51 / 39 27 42, Fax: 05 51 / 39 96 21
E-Mail: thomas.ellrott@gmx.com
Internet: www.ernaehrungspsychologie.org

(Nach einer Pressemitteilung, UMG)

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