B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2008; 24: S34-S36
DOI: 10.1055/s-2008-1076924
B & G SUPPLEMENT

© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Berufspolitik

K. Schüle1
  • 1Deutsche Sporthochschule Köln, Institut für Rehabilitation und Behindertensport
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
17. September 2008 (online)

Einer der Hauptgründe zur Schaffung eines Berufsverbandes ist immer die „Wahrung berufsständiger Interessen”, so auch eines der Ziele des Deutschen Sporttherapeutenbundes e. V. (DSThB) vor 25 Jahren. Zwar gab es bereits einen Deutschen Sportlehrer Verband (DSLV) und einen Diplomsportlehrer Verband. Letzterer war jedoch mehr oder weniger regional auf NRW begrenzt. Beide Verbände konnten mit den vom DSThB angestrebten Berufsfeldern wenig anfangen. Aktueller Anlass für die Neugründung eines Verbandes war die seit 1978 an der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS-Köln) im Rahmen der Diplom-Sportlehrer-Ausbildung neu eingeführte Studienrichtung B „Rehabilitation und Behindertensport”, im Vergleich zur Studienrichtung A „Breiten- und Leistungssport”, unter der Federführung von Prof. Dr. med. K.-A. Jochheim, dem Nestor der deutschen Rehabilitation. Die ersten Absolventen dieses Ausbildungsganges kamen um 1981 / 82 auf den Markt.

Während die Mehrzahl aller Diplomsportlehrer zur damaligen Zeit noch in den „sicheren” Schuldienst aufgenommen wurde, das Diplom beinhaltete gleichzeitig auch die Fakultas für den Dienst in allen Schulstufen, versuchten nun diese neuen Absolventen ihr Berufs- und Arbeitsfeld in rehabilitativen Feldern zu erobern.

Die Aufnahme in den Behindertensport war und ist auch heute noch nur für wenige möglich. Der deutsche organisierte Sport (DOSB, früher DSB) mit seinen mehr als 90 000 Vereinen ist mit seinen Übungsleitern weitestgehend auf dem Ehrenamt aufgebaut, so auch der Deutsche Behindertensportverband (DBS, ca. 20 000 Vereine). Nur Großvereine oder die Verwaltung des Bundesverbandes und einzelner Landesverbände können sich einen hauptamtlichen Sportpädagogen leisten. 

In den Rehabilitationszentren für Rückenmarksverletzte (überwiegend Querschnittgelähmte) war zwar der sog. Klinische Sport nach Sir Ludwig Guttmann bereits seit den 1950er- und 60er-Jahren bekannt, wurde dort aber, bis auf wenige Ausnahmen, von Krankengymnasten durchgeführt.

Ebenfalls bekannt war die psychomotorische Übungsbehandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamm, die „Jonny” Kiphard, als Kölner Diplomsportlehrer der „ersten Stunde” und Clown, dort Ende der 50er-Jahre erfolgreich und unnachahmlich einführte und ca. 25 Jahre betrieb. Diese Arbeit führte u. a. zur Gründung des „Aktionskreises Psychomotorik”, mit dem der Verband seit Jahren ein gutes Verhältnis hat und zusammenarbeitet.

So boten sich die, in anderen europäischen Ländern wenig bekannten, in Deutschland laufend neu entstehenden, Rehabilitationskliniken, zunächst für Herzinfarkt-Patienten, als Alternativen an, zumal damals noch ca. 30 % der Rehakliniken von Herzpatienten und hier v. a. von Infarktbetroffenen belegt wurden. Die moderne internistische Rehabilitation setzte ganz auf Bewegung. Genannt seien hier Persönlichkeiten wie Max Halhuber (Höhenried), Peter Beckmann (Ohlstadt), Kurt König (Waldkirch), Klaus Donat (Hamburg). Parallel dazu entwickelten sich die erfolgreichen ambulanten Nachsorgemodelle der Behinderten- bzw. Rehabilitationssportgruppen mit den „Wieslocher-”, „Hamburger-” und „Kölner-”Modellen, die mit ihren inzwischen mehr als 7 000 Herzgruppen weltweit einmalig dastehen und neben Karl-Otto Hartmann, Karl Traenckner, Hans-Georg Ilker und Ernst Otto Krasemann die Kölner Dieter Lagerstrøm und Richard Rost zu deren Mitbegründer zählen. Einer der ersten „Sportlehrer” begann in der „Eifelhöhenklinik” in Marmagen, ca. 60 Kilometer von Köln entfernt. Weitere Kliniken auch mit anderen Schadensbildern folgten rasch.

Dieses Beispiel soll exemplarisch, da besonders erfolgreich und flächendeckend, für eine Reihe anderer Indikationen dienen. Zu nennen sind u. a. orthopädische, psychosomatische und psychiatrische Erkrankungen, ebenso wie jene der Atemwege und neurologische Krankheiten.

Deutlich wird hierbei auch, dass sich hier Bewegung und Sport im weitesten Sinne selbstverständlich mit Arbeitsfeldern anderer Bewegungsfachberufe überschneiden, z. B. Physio- und Ergotherapeuten. Von vornherein zielte der Verband jedoch auf ein Miteinander und kein Gegeneinander. Erste gemeinsame Tagungen und Kongresse bezeugen dies, indem etwa bei der Reha-Kette der Atemwegserkankungen von der Akut- und Rehaklinik bis zur Wohnortebene die verschiedenen Berufsgruppen und ihre speziellen Aufgaben und Fähigkeiten aufgeführt, demonstriert und auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten hingewiesen wurde. Doch leider wurden wir immer als „Pädagogen”, im Gegensatz zu den „Therapeuten”, abgestempelt, weil die Kostenträger zur damaligen Zeit noch keine „Pädagogik” bezahlten und wir somit keine Konkurrenz darstellten. Ganz im Gegensatz zu heute, wo das edukative Element gerade bei chronisch Erkrankten einen besonderen Stellenwert einnimmt. Ein Zusammenarbeiten wurde und wird bis aktuell heute auf berufspolitischer Ebene aus Abrechnungsgründen nicht gewünscht. Eine vergebene Chance, „Bewegung” gemeinsam zu „verkaufen”! In der Praxis sieht die Zusammenarbeit erfreulicherweise sehr viel positiver und Erfolg versprechender aus.

Nachdem daher kein gemeinsames Vorgehen möglich war, versucht der Verband deshalb selbstständig und selbstbewusst seit Jahren seine eigene berufspolitische Akzeptanz zu finden. Und diese nicht ohne Erfolg: So werden die DVGS-Zertifikate bereits seit langem von fast allen Kostenträgern verlangt, wenn es etwa um Bewegungsangebote chronisch Erkrankter geht (z. B. Rückenlizenzen). Als Weiteres werden zur Erfüllung der Richtlinien zur Anerkennung stationärer und ambulanter Rehabilitationseinrichtungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) für das Bewegungspersonal die DVGS-Zertifikate akzeptiert oder gar verlangt. Schließlich erleichtern diese auch häufig die Bewerbungssituation in Reha-Einrichtungen.

Dass hinter solchen Erfolgen häufig mühsame Kleinarbeit und Ausdauer von den Funktionsträgern und der Geschäftsführung des Verbandes stecken, wird den Mitgliedern nicht immer transparent genug vermittelt. Die o. g. Erfolge müssen deshalb künftig offensiver vermittelt werden.

Die Erweiterung des Verbandes von der Rehabilitation auch zum Gesundheitssport hin gehörte zwar schon zu den primären Zielen, wurde aber erst als zweiter Schritt mit der Umbenennung zum Deutschen Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie (DVGS) im Jahre 1987 vollzogen. Auf die Vielzahl solcher Einsatzfelder kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden, da sie im Prinzip alle jene einschließen, die für die Sportlehrer im freien Beruf, aber auch für Schulsportlehrer geeignet sind. Sie reichen von Kindergärten über Vereine, Fitness-, Gesundheits-, Bewegungs- und Freizeitzentren bis hin zum Betriebssport und der Betrieblichen Gesundheitsförderung, um nur die wichtigsten zu nennen.

Dass sich hier, neben „Bewegungs-Profis”, auch eine mehrfache Zahl von Übungsleitern und Laien mit oft wundersamen Berufsbezeichnungen tummeln (u. a. Kardiotrainer, Fitness-Lehrer, Physiotrainer, Gesundheitsberater), schaffte eine unübersehbare Konkurrenz. Mancher Leistungsanbieter greift hier nicht selten auf „billige” Kräfte zurück.

Zu Beginn der 90er-Jahre vergab der DVGS für entsprechend qualifizierte Einrichtungen ein Qualitätssiegel, übertrug dieses aber dem Institut für Kennzeichnung und Gütesicherung (RAL).

Ein weiterer Eckpunkt in der Berufspolitik war die inzwischen legendäre Sitzung des erweiterten Vorstandes im Rahmen des 7. Internationalen Symposiums „Adapted Physical Activity”, unmittelbar vor der „Wende” im Juni 1989 im ICC Berlin. Hier wurde beschlossen, dass der Verband nicht mehr nur akademisch ausgebildete Sporttherapeuten vertritt, sondern sich für das gesamte Feld der Bewegungstherapie und somit auch ihrer nicht-akademischen Berufsgruppen verantwortlich fühlt. Dieses ließ sich leicht durch die tägliche Praxis sowohl im Gesundheitssport als auch in der Rehabilitation begründen, fanden doch eine große Zahl „billigere” Gymnastiklehrer mit dem Schwerpunkt „pflegerische Gymnastik” den Zugang zu diesen Arbeitsfeldern. Diese Gruppe wurde hierin bis dato berufspolitisch wenig oder gar nicht vertreten.

Da wir jedoch nach wie vor nicht alle Bewegungsfachberufe über einen Kamm scheren wollten, werden auf den Zertifikaten hinter dem Namen die ursprüngliche Berufsbezeichnung aufgeführt und dazu die Zusatzqualifikation Sporttherapeut DVGS hinzugefügt. Des Weiteren verfügen die Akademiker über die Fähigkeiten zum „Konzeptionieren”, „Realisieren” und „Evaluieren”. Wohingegen die Nicht-Akademiker schwerpunktmäßig für die „Realisierung” zuständig sind. Mit diesen Rahmenbedingungen meinen wir für alle Mitglieder, insbesondere aber auch Arbeitgeber und Kostenträger, Klarheit geschaffen zu haben.

Zukunft

Wie wird es weitergehen? Wie soll es weitergehen? Welches sind unsere bzw. meine Wünsche?

Auf der therapeutischen Seite (Bewegungstherapie, Sporttherapie) wird es bezüglich der Aus- und Weiterbildung zu einer Verschmelzung der Physio- und Sporttherapie kommen, oder es werden immer mehr Therapeuten der einen Ausrichtung sich auch noch die wichtigsten Elemente der anderen Therapieausbildung aneignen, um sich dann „doppelqualifiziert” dem Arbeitsmarkt zu stellen. Aus diesem Grunde hat sich der DVGS bereits im Jahre 2006 auch für Physiotherapeuten geöffnet, wenn auch unter derzeit noch sehr strengen Kriterien. Diese „Doppelqualifizierten” werden in die Führungspositionen der Bewegungstherapie gelangen, zumal wenn es mehr und mehr Masterausbildungen (M. A.) in diesen Bereichen gibt. Sie werden mit ihrem akademischen und praktischen Hintergrund für die o. g. Konzeptionierung und Evaluierung von Bewegungsprogrammen zuständig sein.

Daneben wird eine Vielzahl von Fachschülern mit sporttherapeutischen Zusatzqualifikationen für die Durchführung (Realisation) der Programme stehen. Um diese Plätze werden sich auch die niedriger akademisch ausgebildeten Bachelor-Absolventen (B. A.) der Fachhochschulen, Hochschulen und Universitäten mit entsprechenden Ausbildungsgängen bewerben. Wem der Arbeitgeber den Vorzug geben wird, ist heute noch nicht abzusehen, zumal bisher keinerlei Absprachen zwischen den Hochschulen und Ausbildungsstätten stattgefunden haben! Auch international bestehen bisher ebenfalls nur ganz selten Absprachen, die überwiegend zwischen Dozenten einzelner Hochschulen abgesprochen wurden. Insofern sind Aussagen einer bestimmten (hier nicht genannten) Fachhochschule schlichtweg unrichtig, wenn sie behauptet, dass ihr Studiengang international von 40 Ländern anerkannt sei! Eine Absprache mit diesen hat hier ganz sicher nicht stattgefunden.

Damit sind die ursprünglichen Ziele der Bologna-Vereinbarungen, nämlich einen einheitlichen europäischen Studienraum mit aufeinander abgestimmten Ausbildungsgängen und -inhalten, leider nicht erfüllt worden. Mehr dazu jedoch im Beitrag von Gerhard Huber.

Weiterhin wird sich der Verband auch zukünftig um die volle Anerkennung der Sporttherapie als „Heilmittel” und damit als abrechnungsfähige Kassenleistung bemühen. Es ist in keinster Weise einzusehen, warum etwa physiotherapeutische oder gar podologische Leistungen, die erwiesenermaßen bis zum heutigen Zeitpunkt nicht annähernd so viele evidenzbasierte Leistungen wie die Sporttherapie aufweisen können, verordnungsfähig sein sollen und die Sporttherapie nicht, wo sie doch schon in einer größeren Zahl von Leitlinien, etwa in den DMP-Programmen und in der Rehabilitation Pflicht ist. Das gilt insbesondere für die Behandlung chronischer Erkrankungen, bei denen ausgesprochen lebensstiländernde Methoden, also überwiegend pädagogische, oder wie erwähnt, sog. edukative Aspekte, eine entscheidende Rolle spielen.

Auf der gesundheitssportlichen Seite wird sich eine noch wesentlich schärfere Konkurrenz unter den Berufen einstellen, da sich hier zusätzlich auch weiterhin noch unzählige „Fabelberufe” tummeln. Inwieweit sich durch die neu hinzukommenden Bachelor-Absolventen eine zusätzliche Konkurrenz aufbaut, ist heute lediglich zu vermuten, aber absehbar. Dadurch werden sich diese Absolventen aller Wahrscheinlichkeit nach „unter Wert” verkaufen müssen und so bald als möglich einem Aufbaustudiengang zum M. A. zuwenden.

Ein immer wichtigeres Arbeitsfeld wird im Betrieblichen Gesundheitsmanagement gesehen. Dazu gehören

  • Arbeitsschutz,

  • Gesundheitsförderung und

  • Eingliederungsmanagement.

Erstens, weil der bekannte demografische Wandel mehr und mehr durchschlägt, zweitens, weil sich die Betriebe nach der neuen und aktuellen Sozialgesetzgebung (§ 84,2 SGB IX) um von Behinderung und damit auch von Arbeitslosigkeit bedrohten Mitarbeitern kümmern muss, drittens, weil ein „gesunder” Betrieb einen Wettbewerbsvorteil darstellt. Außer im direkten Arbeitsschutz kommen in den beiden anderen Bereichen sowohl der Gesundheitssport als auch die Sporttherapie zum Einsatz. Modelle hierzu bestehen bereits. Entsprechende Maßnahmen gehen weit über den früheren Betriebssport hinaus, zumal außer dem Betrieb selbst auch die Kostenträger gefordert sind.

Auf den Verband kommt hier wieder eine riesige Arbeit zu, da es gilt, die einzelnen neuen Studiengänge auf ihre Inhalte hin zu überprüfen, um dann entsprechende Zertifikate ausstellen zu können und ggf. auch neue Fort- und Weiterbildungsangebote für solche Absolventen entweder selbst oder über Lizenzträger anzubieten. Parallel hierzu gilt es bereits frühzeitig Kontakte mit Gesundheitspolitikern und Kostenträgern aufzunehmen.

Auch wenn zukünftig in der Gesundheitsversorgung vermutlich viele Leistungen von den Betroffenen selbst finanziert werden („Zweiklassenmedizin”), wozu sicherlich dann auch bestimmte Bewegungsangebote gehören werden, wird sich der DVGS auch zukünftig um eine aktive berufspolitische Vertretung der Bewegungsberufe, deren Arbeitsfelder im Gesundheitssport und der Rehabilitation liegen, bemühen.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. K. Schüle

Deutsche Sporthochschule Köln · Institut für Rehabilitation und Behindertensport

Carl-Diem-Weg 6

50933 Köln

Telefon: 02 21 / 49 82 47 10 / -48 20

Fax: 02 21 / 4 97 17 26

eMail: schuele@dshs-koeln.de

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