Zeitschrift für Palliativmedizin 2009; 10(2): 70
DOI: 10.1055/s-2009-1225593
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Seelsorge - Neues Selbstverständnis der Seelsorge

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Publication Date:
22 June 2009 (online)

 

Durch das neue Gesetz zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) wird das Selbstverständnis von Seelsorge maßgeblich tangiert. Der folgende Beitrag führt in die berufsethischen und juristischen Implikationen ein, die durch das Gesetz entstehen.

Spiritualität (im Sinne von "spiritual care") ist eine "tragende Gesundheitssäule"- neben den psychischen, physischen und sozialen Komponenten von Gesundheit - und integrierter Bestandteil eines ganzheitlichen medizinischen Ansatzes (vgl. WHO-Definition der Palliativmedizin aus dem Jahr 2002).

Durch die SAPV ist die Seelsorge nicht länger ein freiwilliges Angebot der Kirchen, sondern wird zum unverzichtbaren Bestandteil des Gesamtkonzepts (Bild: PhotoDisc, Symbolbild)

Seelsorge nimmt sich dieser Spiritualität primär an, weil sie ein wichtiger Teil des Lebens ist, der entscheidend zu einer (Lebens-)Vergewisserung in und zu einer Bewältigung von Situationen der Bedrohtheit (wie z. B. durch Krankheit und Krisen) des Lebens beitragen kann. Damit aber ist Seelsorge als "spiritual care" im Gesundheitswesen begründet und nichts, was von außen - z. B. durch die Kirchen - an das Gesundheitswesen herangetragen wird.

Diese gesundheitspolitische Implikation hat nicht zuletzt durch das Konzept der SAPV Konsequenzen für das Verständnis von Seelsorge und für die Arbeit von Seelsorgerinnen und Seelsorger:

Die SAPV sieht vor, dass für jeden Patienten ein Vertrag mit der Krankenkasse abgeschlossen werden muss. Wenn nun ein Patient ein Seelsorgegespräch wünscht, ist die Koordinierungsstelle angehalten, einen Seelsorger hinzuzuziehen. Dies entspräche der im Gesetzestext formulierten "Zusammenarbeit" mit der Seelsorge. Muss für diese Zusammenarbeit auch ein Vertrag geschlossen werden? Und: Wird Seelsorge damit eine Leistung, die beliebig eingekauft (und wieder abbestellt) werden kann? Gehörte die Seelsorge bis dahin zum freiwilligen, weil verfassungsrechtlich garantierten (Art. 4 GG und Art. 136 WRV) Angebot der Kirchen, ohne medizinische oder therapeutische Relevanz, so ändert sich dieses durch die SAPV. Seelsorge wird unverzichtbarer Bestandteil eines therapeutischen Gesamtkonzeptes. Damit aber ändert sich das Selbstverständnis von Seelsorge. Sie kann nicht mehr systemextern begründet werden. Mehr noch: sie ist auch nicht mehr Lebensbegleitung im Rahmen einer neuen Rollen- und Identitätsfindung (am Ende des Lebens) oder Sterbebegleitung (wenn das Leben zu Ende geht), sondern sie dient hauptsächlich der Förderung subjektiver Lebensqualität von Patienten. Seelsorge als Teil eines medizinisch-therapeutischen Konzeptes muss dokumentiert werden, weil eine religiös-spirituelle Anamnese zu einer fachgerechten Krankheitsgeschichte dazugehört. Was und wie jedoch dokumentiert werden soll, ist noch völlig unklar. Hier bedarf es juristischer Klärungen, vor allem der, ob damit das Seelsorgegeheimnis gewahrt wird. Seelsorgerinnen und Seelsorger werden zusammen mit Ärzten, Pflegepersonal, Hospizdiensten und evtl. Psychologen und Therapeuten Teil eines interdisziplinären Teams, das regelmäßig Teamsitzungen hat und Fallbesprechungen durchführt. Dies führt nicht nur zu einem erhöhten Bedarf an Kommunikation, sondern wirf auch die Frage auf, wieviel Seelsorger von dem im Gespräch Anvertrauten in diesem Kommunikationsprozess mit den anderen Professionen preisgeben dürfen, ohne das Seelsorgegeheimnis zu verletzen. Die Seelsorger müssen rund um die Uhr erreichbar sein. Eine Kriseninterventionsbereitschaft muss eingerichtet werden.

Dieser Kurzbeitrag zu diesem alten und doch neuen Arbeitsfeld der Seelsorge wirft mehr Fragen auf, als er Antworten parat hat. Aber diese Fragen sind so komplex und tangieren das Selbstverständnis von Seelsorge in so vielen Bereichen, dass die Kirchen für deren Beantwortung erst am Anfang eines Prozesses stehen. Es spielen nicht nur berufsethische und ethische Gesichtspunkte eine Rolle, sondern auch juristische. Erst wenn diese Prämissen geklärt worden sind, wissen wir, wie und wo sich die Seelsorge innerhalb der palliativen Versorgung etablieren kann. Denn dass sie es muss, steht außer Frage.

Hinweis

Der Beitrag wurde in einer ausführlicheren Form veröffentlicht in: Hessisches Pfarrblatt, April 2009.

Dr. Raimar Kremer, Firedberg

Zentrum Seelsorge und Beratung

Email: Raimar.Kremer.zsb@ekhn-net.de

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