Zusammenfassung
Das Lipödem ist weit mehr als einfach nur dickere und schmerzhafte Beine! Die Erkrankung
Lipödem ist mit zahlreichen Mythen behaftet. Im ersten Teil dieser Übersicht werfen
wir einen kritischen Blick auf zwei populäre Statements zum Lipödem; Statements, die
vor Jahrzehnten schon Eingang in wissenschaftliche Publikationen gefunden haben und
seither unkritisch und stetig wiederholt werden; Statements, die inzwischen zum selbstverständlichen
Wissensallgemeingut von Lipödempatientinnen und vor allem auch von Lipödem-Selbsthilfegruppen
geworden sind. In unserer Darstellung über die Mythen des Lipödems fokussieren wir
uns in diesem Beitrag vor allem auf zwei Aspekte, die aufs Engste mit dem Lipödem
verbunden sind: auf die Adipositas sowie auf die psychische Situation von Lipödempatientinnen
– die wiederum eng mit der Adipositas in Zusammenhang steht. Dabei überprüfen wir
zwei häufig publizierte Statements auf wissenschaftliche Evidenz: 1. „Das Lipödem
ist eine progrediente Erkrankung”, 2. „Ein Lipödem macht psychisch krank”. Beide Statements
widersprechen in hohem Maße unserer seit Jahren bestehenden täglichen klinischen Erfahrung
mit diesem speziellen Patientengut. Gleichzeitig haben wir im Rahmen unserer umfangreichen
Literaturrecherche festgestellt, dass es auch keine Evidenz für diese in den „Lipödemsprachgebrauch”
eingegangenen Behauptungen gibt. Tatsachlich ist das Lipödem in der Regel keine progrediente
Erkrankung! Vielmehr liegt bei Lipödempatientinnen häufig eine Gewichtsprogredienz
(meist eine Adipositasprogredienz) vor, in deren Folge sich auch das Lipödem verschlechtern
kann. Unsere Pilotstudie zum 2. Statement macht deutlich, dass in der Regel nicht
das Lipödem Ursache von psychischen Erkrankungen ist. Hier weisen unsere Ergebnisse
in die umgekehrte Richtung: Eine – vorbestehende – psychische Vulnerabilität kann
ganz wesentlich zum Krankheitsbild Lipödem beitragen. Um das Lipödem in seiner ganzen
Komplexität und Vielfalt zu erfassen, braucht es mehr als nur Medizin. Psychosoziale
Therapieansätze sollten integraler Bestandteil eines wirksamen multimodalen Behandlungskonzepts
sein. Neben den beiden dargestellten Mythen gibt es weitere, die sich um das Lipödem
ranken. Diese werden in weiteren Ausgaben dieser Zeitschrift diskutiert werden.
Schlüsselwörter
Lipödem - Progredienz - Adipositas - Psychische Erkrankung - Wissenschaftliche Evidenz