Phlebologie 2018; 47(03): 120-126
DOI: 10.12687/phleb2418-3-2018
Übersichtsarbeiten – Reviews
Schattauer GmbH

Lipödem – Mythen und Fakten Teil 2

Artikel in mehreren Sprachen: deutsch | English
T. Bertsch
1   Földiklinik Hinterzarten – Europäisches Zentrum für Lymphologie
,
G. Erbacher
1   Földiklinik Hinterzarten – Europäisches Zentrum für Lymphologie
2   Dipl.-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin (hsi)
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Publikationsverlauf

Eingereicht: 12. März 2018

Angenommen: 12. März 2018

Publikationsdatum:
21. Mai 2018 (online)

Zusammenfassung

In dieser kleinen Übersichtsreihe über die Mythen des Lipödems werfen wir einen kritischen Blick auf populäre Statements zum Lipödem; Statements, die vor Jahrzehnten schon Eingang in wissenschaftliche Publikationen gefunden haben und seither unkritisch und stetig wiederholt werden; Statements, die dadurch inzwischen zum selbstverständlichen Wissensallgemeingut von Lipödempatientinnen und vor allem auch von Lipödem-Selbsthilfegruppen geworden sind. Im ersten Teil unserer Darstellung haben wir uns kritisch mit zwei populären Mythen über das Lipödem auseinandergesetzt. Hierbei haben wir festgestellt, dass sowohl für das Statement „Das Lipödem ist eine progrediente Erkrankung” als auch für das Statement „Ein Lipödem macht psychisch krank” keine wissenschaftliche Evidenz vorliegt. In diesem zweiten Beitrag über die Mythen des Lipödems fokussieren wir uns auf den Ödemaspekt, auf das „Ödem im Lipödem” und die hieraus erfolgte therapeutische Konsequenz – die Manuelle Lymphdrainage. Daher: Mythos 3: Das Lipödem ist in erster Linie ein „Ödem-Problem”; daher ist die Manuelle Lymphdrainage essenzielle und regelmäßig durchzuführende Standardtherapie! Auch dieses Statement widerspricht in hohem Maße unserer seit Jahren bestehenden täglichen klinischen Erfahrung mit diesem speziellen Patientengut. Gleichzeitig haben wir im Rahmen unserer umfangreichen Literaturrecherche festgestellt, dass es keine Evidenz für diese Sichtweise gibt. Tatsächlich gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass beim Lipödem ein relevantes Ödem – Ödem im Sinne von Flüssigkeit – vorliegt. Ebenso fehlt jegliche wissenschaftliche Evidenz dafür, dass dieses kaum (bzw. meist nicht) vorhandene Ödem für die Beschwerden der Lipödempatientinnen verantwortlich ist. Der regelmäßigen und dauerhaften Verordnung von Manuellen Lymphdrainagen mit dem Ziel der „Ödembeseitigung” fehlt daher jede Grundlage. Das Lipödem ist weit mehr als nur dickere, schmerzhafte Beine! Darum müssen wir manche der alten therapeutischen Pfade verlassen, Pfade, für die es keine wissenschaftliche Evidenz gibt, Pfade, die darüber hinaus auch unserer klinischen Erfahrung widersprechen. Eine umfassende Therapie des Lipödems sollte daher auch all jene Aspekte berücksichtigen, die nicht so offensichtlich sind wie das Augenscheinliche und das vordergründig Geäußerte. Lipödem-Therapie muss neben der Behandlung der somatischen Beschwerden auch auf die bereits in unserem ersten Beitrag beschriebenen psychosozialen und gesellschaftlichen Aspekte dieses komplexen Krankheitsbildes fokussieren. Die Vorstellung eines umfassenden Therapiekonzeptes für Lipödempatientinnen wird Inhalt im letzten Teil unserer kleinen Lipödemreihe sein. Neue Wege entstehen, in dem wir sie gehen – dies gilt auch für die Therapie des Lipödems!

 
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